Frühe Hilfen – wichtiger denn je
Beirat der Bundesstiftung Frühe Hilfen und des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen nennt Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Frühen Hilfen
Gerade während der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie wichtig die Frühen Hilfen für belastete Familien sind. Mit den bereits vorhandenen interdisziplinären Netzwerken und den niedrigschwelligen familiennahen Angeboten konnte auch in der Krise schnell und flexibel agiert werden.
Um den Erfolg und das Erreichte in den Frühen Hilfen abzusichern, ihre Qualität zu erhalten und den weiteren Bedarfen zu entsprechen, brauchen sie politische Unterstützung.
Eine Anpassung der Mittel der Bundesstiftung Frühe Hilfen wurde bereits im Jahr 2019 von den Ländern gefordert. Sie verwiesen schon damals auf die gestiegene Anzahl von Kindern unter drei Jahren, den Anstieg psychischer Belastungen und Erkrankungen von Eltern und die regelmäßige Erhöhung der Tariflöhne seit Etablierung des Fonds Frühe Hilfen im Jahr 2012. Deshalb sind eine Aufstockung und eine Dynamisierung dringend notwendig. Nur so werden Frühe Hilfen den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zur Entlastung und Unterstützung von Familien gerecht.
Frühe Hilfen
Seit fünfzehn Jahren haben sich Frühe Hilfen zu einem Unterstützungssystem für Familien mit Kindern von 0-3 Jahren entwickelt und sind deutschlandweit etabliert. Es ist Ziel der Frühen Hilfen, Belastungen von Familien so früh wie möglich zu erkennen, um bedarfsgerecht Entlastung und Unterstützung anzubieten. Im Mittelpunkt steht die Förderung der elterlichen Beziehungs- und Versorgungsfähigkeit, um Kindern ein gesundes und gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen und ihre Teilhabechancen zu erhöhen.
Die Kernelemente der Frühen Hilfen sind:
- eine flächendeckende kommunale Netzwerkstruktur,
- die effektive Bündelung der Angebote in Kommunen und Regionen aus den unterschiedlichen Leistungssystemen für Familien,
- eine präventive Ausrichtung, die bereits in der Schwangerschaft ansetzt,
- eine dynamische und flexible Orientierung an den Bedarfen von Familien,
- der niedrigschwellige Zugang zu Familien in belasteten Lebenslagen und
- der unmittelbare Lebensweltbezug zu Familien.
Aktuelle Studienergebnisse weisen darauf hin, dass die Probleme von Familien in belastenden Lebenslagen komplexer werden. Gerade die Corona-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie stark sich Krisen - insbesondere auf Familien in Problemlagen - auswirken. Hier sind besonders hervorzuheben:
- Armutsgefährdete Familien und Familien in Armutslagen
Bereits bei Kindern ist ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen und der gesundheitlichen Lage zu beobachten. Armut führt häufig zu psychosozialen Belastungen der gesamten Familie, wobei gerade die Kinder besonders betroffen sind. Die Folgen von Armutserfahrung, vor allem in der frühen Kindheit, sind nachdrücklich und langfristig. - Eltern mit psychischen Belastungen und Erkrankungen
Psychische Belastungen und Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wenn Eltern davon betroffen sind, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung ihrer Kinder. Für Kinder psychisch kranker Eltern ist die Gefahr sehr groß, früher und schwerer selbst psychisch zu erkranken, als Kinder, deren Eltern nicht betroffen sind. Entsprechend hoch und dringlich ist der Handlungsbedarf an Prävention. - Alleinerziehende Mütter und Väter
Alleinerziehende geben im Vergleich zu anderen Familien häufiger Anzeichen einer psychischen Erkrankung an sowie auch ein höheres elterliches Stressempfinden. Hinzu kommt, dass Alleinerziehende mit zu der größten Gruppe der Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach SGB II gehören. - Familien mit Flucht- und Migrationsgeschichte
Familien mit Fluchtgeschichte müssen zum Teil traumatisierende Erlebnisse verarbeiten oder sorgen sich um Angehörige in ihrem Herkunftsland. Bei Familien mit Migrationsgeschichte zeigt sich generell, dass sie geringere Kenntnisse über allgemeine Unterstützungsangebote haben als Familien ohne Migrationshintergrund. Hier spielen auch Verständigungsschwierigkeiten eine Rolle.
In diesen Lebenslagen kumulieren häufig vielfältige Probleme und Belastungen. Die Auswirkungen, gerade auf die Kinder, können besonders kritisch sein. Eine frühzeitige Unterstützung der Familien, am besten bereits ab der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit, ist daher besonders wichtig, um Entwicklungsdefiziten frühzeitig entgegenzutreten.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie im erhöhten Maße auf Familien auswirken, die in solchen Belastungslagen leben. Deshalb wird der Bedarf an psychosozialer Unterstützung - und damit auch der Bedarf und die Notwendigkeit Früher Hilfen - steigen.
Unterstützung von Familien ist daher wichtiger denn je!
Um den Herausforderungen für Familien gerecht zu werden, können Frühe Hilfen einen wichtigen Beitrag leisten. Mit der Förderung durch die Bundesstiftung Frühe Hilfen können in erster Linie die Netzwerkkoordinierenden und der bundesweite Einsatz von Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegenden (FGKiKP), die Familien über einen längeren Zeitraum zu Hause unterstützen, finanziert werden. Doch die zur Verfügung stehenden Mittel ermöglichen schon heute keine bedarfsdeckende Versorgung mit Familienhebammen und FGKiKPs in den Familien:
- Deutschlandweit kann der Bedarf dieses Angebots in weniger als jeder dritten Kommune gedeckt werden, weil die notwendigen finanziellen Mittel fehlen.
- Etwa jede fünfte Kommune benötigt hierfür Mittel in mehr als doppelter Höhe als bisher.
- Besonders eklatant ist die Unterdeckung in den ostdeutschen Ländern.
- Erschwerend kommt der generelle Fachkräftemangel hinzu. Gerade Familienhebammen sind - auch aufgrund einer nicht-entsprechenden Bezahlung - schwer zu finden.
Um deutschlandweit ein annähernd gleiches Qualitätsniveau sicherzustellen, braucht es daher dringend eine Erhöhung der Mittel, um allen Familien und ihren Kindern - ungeachtet ihres Lebensortes - die notwendige Unterstützung zu gewährleisten.
Damit das System seine volle Wirkung entfalten kann und Familien einen niedrigschwelligen Zugang zu einem passenden Angebot erhalten, ist darüber hinaus die Finanzierung und der Ausbau von Lotsendiensten nötig. Sie sprechen Familien in Kliniken sowie Arztpraxen an und leiten Familien gemäß ihres Bedarfs an weitergehende Angebote über.
Familien, die von besonders vielfältigen Belastungen betroffen sind, brauchen häufig spezifischere Hilfen zur Bindungs- und Interaktionsförderung. Diese sind allerdings aufwendiger, daher kostenintensiver und werden deshalb häufig nachrangig finanziert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese - in Kombination mit einer qualitativen hochwertigen Ersteinschätzung des Bedarfs und einer darauf basierenden Passgenauigkeit des Angebotes - letztlich wirkungsvoller sind und daher der Nutzen die Kosten weit überwiegt. Deshalb braucht es einen Mix aus universellen und spezifischen, bedarfsorientierten Unterstützungsangeboten.
Frühe Hilfen: Qualität und Quantität erhalten und erhöhen
Die Innovationskraft der Frühen Hilfen, die sich aus der konsequenten Orientierung an den Bedarfen der Familien und dem sektorenbergreifenden Ansatz ergibt, ist die Grundlage für ihren Erfolg. Zugleich wurden Frühe Hilfen zu einer Blaupause für Veränderungen in benachbarten Unterstützungssystemen für Familien. Gerade in der Corona-Pandemie konnten die Frühen Hilfen durch ihre gut funktionierenden Netzwerkstrukturen zeigen, dass sie professionsübergreifend sehr flexibel und bedarfsgerecht Familien in der Krise unterstützen können.
Um Familien bei ihren vielfältigen Herausforderungen gut unterstützen zu können, brauchen Frühe Hilfen eine sichere Basis. Das zeitlich befristete Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona" (2021 – 2022) wird ausdrücklich begrüßt, jedoch müssen sich Frühe Hilfen darüber hinaus dauerhaft und flexibel an den sich verändernden Bedarfen von Eltern und Kindern weiterentwickeln können. Vor dem Hintergrund ansteigender familiärer Belastungen - insbesondere von Familien in prekären Lebensverhältnissen - sind Frühe Hilfen wichtiger denn je. Desto früher Entlastung und Unterstützung ansetzen, umso effektiver können die Entwicklungs- und Zukunftschancen von Kindern erhöht werden.
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Weitere Informationen auf fruehehilfen.de
Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona": Mehr Unterstützung durch Frühe Hilfen
Veröffentlicht: Juli 2021