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Stationäre Geburtshilfe als erster Kontakt zu den Frühen Hilfen

Die Ergebnisse einer Recherche im Auftrag des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) zeigen Möglichkeiten und insbesondere Grenzen, Familien in belastenden Lebenslagen während ihres Aufenthaltes in einer Geburtsklinik mit Angeboten der Frühen Hilfen in Kontakt zu bringen.

Die Zeit rund um die Geburt bietet Gelegenheit, Familien frühzeitig zu erreichen und ihnen bei Bedarf weiterführende, passgenaue Unterstützung zu vermitteln.
Die Befragung von Mitarbeitenden in 54 Geburtskliniken gibt Hinweise zu Angeboten der Frühen Hilfen in Geburtskliniken, zur Erreichbarkeit und Versorgung von Familien in belastenden Lebenslagen, zu Kooperationen innerhalb der Kliniken und zum Arbeitsalltag der Mitarbeitenden.

Die Recherche wurde Anfang 2017 im Auftrag des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) durchgeführt und aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert. Die Erkenntnisse dienten der Vorbereitung der repräsentativen Studie des NZFH "Zusammen für Familien – ZuFa Monitoring Geburtsklinik".

Informationen zur Auswahl der Stichprobe, zur Durchführung der Interviews und den Leitfragen der Befragung zur Frühen Hilfen in der stationären Geburtshilfe

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Ergebnisse und erläuternde "O-Töne" der Befragten:

Gründe dafür sind laut vorliegender Recherche insbesondere die kurze und begrenzte Aufenthaltsdauer der Mütter und Familien in den Kliniken sowie Personal- und Zeitmangel.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Das Personal ist zunehmend sensibilisiert, Unterstützungsbedarfe wahrzunehmen: "Gerade die junge Generation der Ärzte ist da sehr offen".
  • Um Familien in schwierigen Lebenslagen ohne vorherigen Hinweis, z.B. vom Jugendamt, zu erreichen, muss das medizinische und pflegerische Personal "genau hinschauen, genau zuhören und die Informationen richtig einordnen".
  • Die Mütter sind nach der Entbindung meist nur kurz, ca. 3 Tage, auf der Station. Es bleibt daher für die Mitarbeitenden nur wenig Zeit, um Familien mit einem Hilfebedarf zu erkennen und gezielt zu erreichen: "Manche Mütter kommen sogar nur zur Entbindung und gehen dann nach ein paar Stunden wieder."
  • Während des kurzen Aufenthalts auf der Geburtsstation öffnen sich nicht alle: "Müttern, die ihre Probleme verbergen möchten, gelingt dies auch".

Alle Befragten betonen die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Versorgung von geflüchteten Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund, die kaum oder gar kein Deutsch sprechen – vor allem aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten und des erhöhten Zeitaufwandes. Einige Kliniken sind dabei besonders betroffen, da hier der Anteil an Familien mit Sprachbarrieren besonders hoch ist. Die Lösungsmodelle von Seiten der Kliniken sowie der Mitarbeitenden sind dabei vielfältig.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Das ist eine "große Herausforderung" und "Riesenproblem"
  • "Wir können von Glück sprechen, wenn wir überhaupt mal Mütter haben, die fließend Deutsch sprechen."
  • Eine Verständigung mit "Händen und Füßen" ist in der Geburtshilfe Alltag.
  • Alle befragten Kliniken verfügen über interne "Dolmetscherlisten". Darin sind "von Ärztinnen und Ärzten über Verwaltungsangestellte bis hin zur Reinigungskraft alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeführt, die eine Fremdsprache beherrschen."
  • Eine Klinik hat Videos produziert, die das Vorgehen bei bestimmten Untersuchungen und Behandlungen in anderen Sprachen erklären.
  • "Wir stellen in der geburtshilflichen Abteilung inzwischen bevorzugt Assistenzärztinnen und -ärzte ein, die Arabisch oder andere Fremdsprachen beherrschen."
  • Auch die Bedeutung für die Krankenhauspolitik und das Gesundheitswesen wird deutlich, da die professionellen Übersetzungen/Übersetzende das Budget der Krankenhäuser belasten: "Das kann doch nicht sein, das ist ein Politikum. Die Krankenkassen müssen mit ins Boot".
  • Eine Klinik bietet Schulungen zur "interkulturellen Kompetenz" für Fachkräfte an.
  • Ein Großteil der Geburtsabteilungen händigt zudem Flyer in anderen Sprachen aus.

Auch die Mitarbeitenden in den Geburtsstationen selbst versuchen, die Probleme zu lösen:

  • "Die Schwangeren werden gebeten, jemanden mitzubringen, der Deutsch spricht und dem sie vertrauen".
  • Es kommt vor, dass geflüchtete Menschen von "ehrenamtlichen" Dolmetscherinnen oder Dolmetschern begleitet werden.
  • "Manche Patientinnen und Patienten haben ein Tablet dabei", dann werde der Übersetzerdienst im Internet o. ä. genutzt.
  • "Wir setzen auch gerne "Piktogramme" ein – für Begriffe wie "Essen" und "Schlafen" reicht dies meist".

In einigen geburtshilflichen Abteilungen arbeiten speziell ausgebildete Fachkräfte, die die Beratung und Überleitung von Familien in schwierigen sozialen Lebenslagen übernehmen, zum Beispiel Babylotsinnen, Familienhebammen oder Psychologinnen. Die Fachkräfte agieren im Sinne eines "Lotsendienstes" und vermitteln bei Bedarf an weiterführende und intensivere Unterstützungsangebote.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Fachkräfte der Frühen Hilfen sind gut mit externen Kooperationspartnerinnen und -partnern vernetzt und kennen die Angebote für Familien in schwierigen Lebenslagen vor Ort sehr gut.
  • Als "Lotsen" stellen sie auch die Weichen für die Zeit nach der Geburt zu Hause.
  • Unterstützungsangebote sind zum Beispiel:
    • Weitergabe von Adressen für Beratungsstellen, um finanzielle Probleme zu lösen.
    • Unterstützung bei der Suche nach einem Therapieplatz für Mütter mit psychischen Problemen.

Neben diesen vermittelnden Lotsendiensten auf der Geburtsstation sind Angebote Früher Hilfen teilweise auch in anderen Abteilungen der Kliniken zu finden, zum Beispiel:

  • Elternberatung in der Kinderklinik,
  • Sprechstunde bei Regulationsstörungen im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) oder
  • psychologische Beratung des sozialpsychologischen Dienstes.

Zwei Drittel der Gesprächspartnerinnen und -partner gaben an, dass die Geburtsstation mit anderen Abteilungen des Krankenhauses kooperieren, wenn sie Unterstützungsbedarf bei Familien insbesondere in belastenden Lebenslagen vor oder nach der Geburt erkennen. Diese Zusammenarbeit ist aber selten systematisch strukturiert.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Die Qualität der Zusammenarbeit ist sehr unterschiedlich: von "exzellent" und "gut" bis zu "sehr selten" und "nur im Bedarfsfall".
  • Eine Kooperation mit anderen Abteilungen findet in den meisten Kliniken nur "bei Bedarf" statt, da von den interviewten Personen keine Zusammenhänge gesehen werden ("wir sehen dann keine gemeinsamen Fälle") oder "Zeitmangel" auf den Stationen eine Kontaktaufnahme mit anderen Stationen und die Zusammenarbeit verhindert.
  • Wenn Kooperationen mit anderen Abteilungen der Klinik etabliert sind, dann seien diese in der Regel informeller Natur:
    • Wichtig seien dabei v.a. "kurze Wege".
    • "Wir kennen uns. Wenn ich mal eine besondere Frage zum Stillen oder Schreien habe, was selten der Fall ist, rufe ich die Kollegen im SPZ an."
    • Auch Konsilanfragen seien üblich: "Wenn ich Fragen habe, weil eine Mutter nicht auf ihr Neugeborenes reagiert, dann wende ich mich an unsere Psychologin."

Nur wenige der befragten Mitarbeitenden benannten Formen einer systematischen Zusammenarbeit:

  • Fallbesprechungen oder
  • gegenseitige Stationsbesuche von Mitarbeitenden der verschiedenen Abteilungen.

Dies war v.a. in Kliniken mit geburtshilflich-neonatologischem Schwerpunkt der Fall.

  • In einer Klinik existiert ein Screening-Bogen, um schwierige Lebenslagen von Familien systematisch zu erfassen. Auf der Station ist jedoch so viel zu tun, so dass das Personal das Ausfüllen des Bogens gelegentlich vergisst. "Vor allem am Wochenende, wenn noch weniger Personal da ist", ist die Arbeitsverdichtung sehr hoch und "der Screening-Bogen wird nur selten ausgefüllt".

Nur in wenigen Krankenhäusern scheint der Sozialdienst gut ins Netzwerk Frühe Hilfen eingebunden zu sein. Die Mitarbeitenden der Geburtshilfe ziehen diesen - wenn überhaupt - nur bei Bedarf hinzu.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Hinzugezogen wird der Sozialdienst zum Beispiel, wenn Familien in sozial schwierigen Lebenslagen auf Station sind und die Zeit nach der Geburt "zu Hause für die Familie problematisch" sein könnte.
  • "Es bleibt keine Zeit für eine soziale Anamnese, auch wenn die nur 15 Minuten dauert." Die Anamnese übernimmt dann der Sozialdienst.

Voraussetzung für die Anfrage beim Sozialdienst ist jedoch, dass schwierige soziale Lagen von Familien wahrgenommen werden und beim Sozialdienst Ressourcen für die Versorgung bereitstehen.

Einen systematischen Austausch gibt es in der Regel nicht.

Rund ein Drittel der Befragten stimmten zu, dass Familien in belastenden Lebenslagen im Rahmen von "Angeboten rund ums Stillen" wahrgenommen werden könnten.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

Die Kliniken gestalten Stillangebote sehr heterogen, zum Beispiel Tipps nach der Geburt auf der Station, Stillsprechstunden und -beratung, offene Still-Cafés und Vorbereitungskurse zum Stillen in der Schwangerschaft.

  • In Gesprächen zum Stillen "merkt man manchmal, dass etwas nicht stimmt".
  • "Da sind dann auch mal mehrere Mütter zusammen und man hört in Gesprächen Probleme raus".

Elternschulen als weiteres Angebot in vielen Kliniken unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Leistungen und Zielgruppen, zum Beispiel Informationsabende für werdende Mütter, Geburtsvorbereitungskurse und Geschwisterkurse, Erste-Hilfe-Kurse für Eltern von Neugeborenen oder Yoga für Schwangere. Manche Angebote sind dabei kostenpflichtig.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • Elternschulen werden primär von "Mittelschichtfamilien" in Anspruch genommen. Familien in schwierigen sozialen Lebenslagen "sind in diesen Kursen nicht anzutreffen".
  • Keine der Elternschulen der befragten Kliniken bietet spezielle Kurse für die Zielgruppe der Frühen Hilfen an. "Dafür hat das Personal keine Zeit"."Dafür bietet sich der stationäre Bereich besser an."

Obwohl Zeitknappheit ein großes Problem in der Geburtshilfe sei, sieht knapp die Hälfte der befragten Personen keinen Handlungsbedarf.

Mehr als die Hälfte der befragten Personen wünscht sich jedoch mehr Zeit für Zuwendung und eine intensivere Betreuung.

Eindrücke und Erkenntnisse aus den Interviews – mit "O-Tönen":

  • "Irgendwie klappt das am Ende irgendwie." Dabei wird zum Beispiel die nicht funktionierende Kommunikation mit den Müttern und Familien in Kauf genommen.
  • Scheinbar haben viele Mitarbeitenden resigniert, weil für weiteres Personal allgemein in Krankenhäusern kein Geld zur Verfügung gestellt wird. "Wer soll das denn bezahlen?"
  • Und selbst wenn Geld für zusätzliches Personal vorhanden ist, seien keine oder nur wenige Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar.

Fazit

Zeitmangel und Personalengpässe, die kurze Aufenthaltsdauer der Familien sowie zum Teil erhebliche Sprachbarrieren die Hauptgründe dafür zu sein scheinen, dass es selbst engagierten Fachkräften der stationären Geburtshilfe nur schwer möglich ist, Eltern in schwierigen Lebensumständen zu erreichen und angemessen zu unterstützen. Klinikinterne systematische Hilfen sind dabei selten.

Erfolgversprechend scheinen Lotsendienste durch kompetente Fachkräfte zu sein: Sie sind im lokalen Netzwerk Frühe Hilfen aktiv, kennen passende Angebote vor Ort und pflegen Kooperationen und Kontakte innerhalb und außerhalb der Geburtsklinik. Ihnen ist es in der Regel möglich, Familien in schwierigen sozialen Lebenslagen frühzeitig zu erreichen, ihnen Hilfe anzubieten und sie bei Bedarf an passgenaue Unterstützungsangebote außerhalb der Klinik zu vermitteln.

Die Ergebnisse der Recherche dienten der Vorbereitung der bundesweiten, repräsentativen Studie ZuFa Monitoring Geburtsklinik. Darin wird im Auftrag des NZFH untersucht,

  • wie Modelle zur systematischen Zusammenarbeit zwischen Geburtshilfe und den Frühen Hilfen konzipiert sind,
  • wo solche Modelle des Schnittstellenmanagements implementiert sind,
  • welche Verbreitung sie inzwischen gefunden haben und
  • inwieweit sie sich in der Praxis bewährt haben.

Die Ergebnisse einer Befragung von Mitarbeitenden in 39 Geburtskliniken deuten an, dass sie Eltern in den ersten Tagen nach der Geburt nur wenig über Schreiverhalten von Babys und die Gefahren des Schüttelns von Säuglingen aufklären.

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