ZuFa-Monitoring Pädiatrie – Ergebnisse
Zentrale Ergebnisse der repräsentativen Befragung von niedergelassenen Kinderärztinnen und Kinderärzten zur Versorgung von Familien in psychosozial belastenden Lebenslagen. Mit Zitaten aus vertiefenden Fokusgruppen.
Wie häufig nehmen Kinderärztinnen und Kinderärzte familiäre Belastungslagen wahr?
- Bei 17 Prozent der Familien nehmen Kinderärztinnen und -ärzte einen niedrigen Bildungsstand der Mutter und/oder des Vaters wahr.
- In ähnlich vielen Fällen erziehen Mutter oder Vater das Kind alleine.
- Durchschnittlich 14 Prozent der Familien besitzen geringe Deutschkenntnisse und haben Verständigungsschwierigkeiten
- Anzeichen von Armut und starke Erschöpfung der Eltern nehmen Kinderärztinnen und -ärzte in 12 Prozent bzw. 13 Prozent der Familien wahr.
- Bei weniger als 2 Prozent sehen die Ärztinnen und Ärzte gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung.
„Dieser gigantische Zuzug, bei denen wir froh sind, wenn wir das Allereinfachste besprechen können.“
„Oft können Leute ihre Anliegen gar nicht vortragen, weil sie die Sprache nicht sprechen. Da gibt es oftmals erhebliche Defizite, aber auch Handlungsbedarf."
Bedarf an Frühen Hilfen
Bei wie vielen Familien stellen Sie psychosoziale Belastungen fest, die bedeutsam für die gesunde weitere Entwicklung der Kinder sind?
- Die große Mehrheit der Kinderärztinnen und -ärzte (71 Prozent) konstatiert für ihre Praxis eine Zunahme des Anteils psychosozial belasteter Familien.
- Nur knapp ein Viertel spricht von einem unveränderten Anteil.
- Bei 14 Prozent der Familien sehen die Kinderärztinnen und -ärzte eine gesunde Entwicklung der Kinder durch die Belastungen gefährdet.
„Mit Frühen Hilfen verbinde ich, dass es einen hohen Bedarf dafür gibt.“
Große Herausforderung für Ärztinnen und Ärzte
Zu wenig Zeit – keine angemessene Vergütung
Für wie viele der Befragten stellt der Umgang mit psychosozial belasteten Familien eine Herausforderung dar?
92 Prozent der Kinderärztinnen und Kinderärzte sagen: Für mich ist die Versorgung belasteter Familien eine Herausforderung.
Auch die überwiegende Mehrheit der Befragten, die nur einen geringen Anteil belasteter Familien in ihrer Praxis versorgen, nehmen den Umgang mit ihnen als Herausforderung wahr (85,8 Prozent).
Welche Gründe führen dazu, dass die Versorgung belasteter Familien für Kinderärztinnen und -ärzte eine Herausforderung darstellt?
Vor allem äußere Rahmenbedingungen sind relevant:
- Ein Viertel der Befragten sieht Ablehnung seitens der Familien, die keine Hilfe annehmen möchten.
- 57 Prozent nennen Zeitmangel für Gespräche mit den Familien als Grund, 56 Prozent die fehlende angemessene Vergütung.
„Ich habe manchmal schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich aus einer Behandlung herauskomme und mir eigentlich denke, dass ich wieder mal zu schnell war. Aber der Zeitdruck ist so immens.“
„Ich halte allerdings die Vorsorgeuntersuchungen, gerade in der frühen Kinderzeit, für unglaublich überfrachtet. Was da alles gefordert wird und getan werden soll, das sprengt den Rahmen und es sprengt natürlich auch die Bezahlung.“
„Ich finde, die Zeit ist wichtig. Am Anfang sagen alle, es passt schon, es ist super. Aber wenn man sich wirklich Zeit nimmt und sich auch das nonverbale Umgehen mit dem Kind anschaut, da kann man schon einiges herausleiten.“
Einstellung und Wissen zu Frühen Hilfen
Sind Ihnen konkrete Angebote Früher Hilfen bekannt?
- 82 Prozent der befragten Kinderärztinnen und -ärzten kennen konkrete Angebote der Frühen Hilfen.
Gibt es in dem Einzugsgebiet Ihrer Praxis ein Netzwerk Frühe Hilfen bzw. vergleichbare Angebote?
- 91 Prozent kennen ein lokales Netzwerk Frühe Hilfen.
Inwieweit stimmen Sie der Aussage zu, dass Frühe Hilfen eine Entlastung für Ihre Tätigkeit sind bzw. wären?
- 77 Prozent der Kinderärztinnen und Kinderärzte sehen in Frühen Hilfen eine Entlastung.
„Ich sehe das eigentlich als Unterstützung für meine Arbeit und hoffe, dass das in Zukunft, wenn es sich weiter etabliert, eine Möglichkeit ist, wo ich Ansprechpartner habe und mir zusätzliche Unterstützung holen kann, um in Familien Hilfen zu implementieren, frühzeitig einzugreifen, verschiedene Sozialarbeiter dort einzufügen, schnell einen Ansprechpartner zu finden.“
Nehmen Sie an Treffen des lokalen Netzwerkes Frühe Hilfen teil?
38 Prozent der befragten niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte nehmen an Treffen des lokalen Netzwerkes Frühe Hilfen teil.
Wie viele Familien haben Sie in Frühe Hilfen vermittelt?
- Im Jahr vermitteln Kinderärztinnen und Kinderärzte durchschnittlich 8 Familien in Frühe Hilfen (8 pro Praxis, Stand 2016).
- Etwa 12 Prozent der Befragten haben gar keine Familie in die Frühen Hilfen vermittelt.
- Knapp ein Viertel vermittelte über 10 Familien an das lokale Netzwerk oder Angebote der Frühen Hilfen.
„Ich finde es eigentlich gut, dass man schnell und unbürokratisch Hilfe bekommt. Das heißt, wenn ich die Familienhebamme anrufe, dann ist sie auch in einer Stunde in der Familie vor Ort. Das heißt, wenn man akut Hilfe braucht, kriegt man sie auch.“
„Der allererste Weg ist, dass man erstmal versucht, selber zu helfen. Dass man im Gespräch erstmal versucht, Ressourcen bei den Eltern zu finden. […] Wenn ich dann merke, das reicht nicht, dann sind die Eltern auch eher bereit, gute Ideen von mir anzunehmen. Da kann ich dann z.B. eine Familienhebamme empfehlen oder eine Einrichtung, die genau bei diesem spezifischen Problem helfen kann.“
„Wenn man fragt, wer unterstützt oder wer hilft, und da ist niemand, dann kann man sagen, dass man Hilfen anbieten könnte […] Wenn man da sagt, dass es jemanden gibt, der vielleicht etwas helfen kann, dann merke ich auch, dass es etwas wackelt im Gesicht nach dem Motto: Vielleicht hast du jetzt endlich was gefunden.“
Barrieren und Hemmnisse bei der Vermittlung in Angebote Früher Hilfen
Keine Zeit - fehlende Rückmeldungen – Unsicherheiten
Wenn Sie an Ihren Berufsstand denken: Was erschwert die Vermittlung von Familien in belastenden Lebenslagen?
- Über die Hälfte (53 Prozent) der Befragten gibt an, dass Zeit fehle, um belastete Familien angemessen zu versorgen und in Frühe Hilfen zu vermitteln. Fehlende Zeit für eine Beratung über mögliche Hilfsangebote geben 42 Prozent der Kinderärztinnen und-ärzte an, ähnlich viele (41 Prozent) bemängeln eine nicht angemessene Vergütung für Beratungsgespräche.
- Auch Probleme in der intersektoralen Zusammenarbeit scheinen eine Vermittlung von belasteten Familien zu erschweren: 57 Prozent vermissen die (anschließende) Rückmeldung aus den Frühen Hilfen. Für ein Drittel sind Begriff und Angebote der Frühen Hilfen nur schwer greifbar.
- Auch fehlende Kenntnisse und Unsicherheiten der Ärztinnen und Ärzte erschweren die Vermittlung von Familien in Frühe Hilfen: 47 Prozent fehlen Kenntnisse über konkrete regionale Angebote. 41Prozent finden es für Ärzte schwierig, einen Hilfebedarf festzustellen.
"Das ist das große Thema der Jugendhilfe allgemein, dass das so eine einkanalige Angelegenheit ist und wir eben keine Rückmeldungen bekommen, was aus den Patienten geworden ist."
"... die Hilfe zu koordinieren, ist manchmal ein Problem, weil die Problematik doch individuell ist und man sie nicht immer eindeutig zuordnen kann, wo man die beste Hilfe bekommen kann."
"Nicht zu wissen, wen spreche ich wo an. Wo schicke ich meine Patienten hin."
"Ich finde es für einen niedergelassenen Arzt, der unter einem hohen Zeitdruck arbeitet, relativ schwierig, einen adäquaten Zugang zu finden ..."
Weitere Informationen auf fruehehilfen.de
Weiterführende Publikationen
van Staa, Juliane / Renner, Ilona (2022): Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Elternrolle
In: Psychotherapeut, volume 67 (2022), pages 4–12
Publikationen zum ZuFa-Monitoring
Veröffentlichungen des NZFH, Artikel in Fach-Zeitschriften sowie Vorträge