direkt zum Hauptinhalt springen

Pilotstudien – Ausgewählte Ergebnisse

Informationen und Merkmale der Stichproben sowie ausgewählte Ergebnisse der Pilotstudien zur Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten der Frühen Hilfen und Motivierung von Familien zur Teilnahme an der Studie

Teilnehmer der Studien/Stichproben

An der Pilotstudie in Stadt A nahmen 34 Prozent der im Einwohnermeldeamt registrierten Familien mit einem bis zu dreijährigen Kind teil. Insgesamt konnte somit eine Stichprobe von 4.774 Familien gewonnen werden. Da nur von einem geringen Teil die Telefonnummern ermittelt werden konnten, wurde nur ein kleiner Prozentsatz der Stichprobe mittels Telefon befragt (10,3 Prozent). Die meisten der teilnehmenden Familien füllten den ihnen zugeschickten Fragebogen aus (77,1 Prozent) oder nahmen online (12,6 Prozent) an der Befragung teil. Die Rücklaufquote war mit knapp 42 Prozent unter den angerufenen Familien deutlich höher als unter den brieflich angeschriebenen Familien (knapp 30 Prozent). 

An der Pilotstudie in Stadt B nahmen 1.580 Familien teil. Diese Eltern wurden von 20 Kinderärztinnen und -ärzten in 13 Praxen für die Teilnahme an der Studie gewonnen. In den teilnehmenden Praxen wurden im Untersuchungszeitraum 2.841 Eltern angesprochen, die ihr Kind zu den U-Untersuchungen begleiteten. Die Ausschöpfungsquote entsprach damit 56 Prozent. Die Teilnahmebereitschaft unter den Kinderärztinnen und -ärzten in der Stadt B entsprach 61 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte, die für eine Studienteilnahme grundsätzlich in Frage kamen. Voraussetzung dafür war die Durchführung pädiatrischer Früherkennungsuntersuchungen.

Soziodemografische Merkmale der Stichproben

In beiden Pilotstudien nahmen zum Großteil die Mütter an der Befragung teil (≥ 86 Prozent). Ebenfalls in beiden Stichproben gaben unter 10 Prozent der befragten Personen an, alleinerziehend zu sein, und nur ein geringer Prozentsatz der Eltern (≤ 3,5 Prozent) war unter 21 Jahren alt. In beiden Stichproben lag der Anteil der befragten Eltern mit Migrationshintergrund bei ca. 38 Prozent. Fast die Hälfte der teilnehmenden Familien in beiden Stichproben war zum Zeitpunkt der Befragung eine Ein-Kind-Familie, während nur ein geringer Anteil (≤ 17,5 Prozent) drei oder mehr Kinder hatte. 

Während sich die Stichproben hinsichtlich der oben genannten Angaben recht ähnlich waren, ergaben sich deutliche Unterschiede hinsichtlich des Ausländeranteils (Personen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft), der Schulbildung, des Erwerbsstatus und dem Bezug von Sozialleistungen. Zwar lag laut Statistischem Bundesamt der Ausländeranteil in beiden Städten bei 19 Prozent bis 20 Prozent, doch betrug der Anteil von teilnehmenden Familien mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft in Stadt A nur 13,5 Prozent, während in Stadt B 21 Prozent der Stichprobe angaben, einen ausländischen Pass zu besitzen. 

Zudem gaben in der Stichprobe in Stadt A 66,8 Prozent und in der Stichprobe in Stadt B nur 42 Prozent der Befragten Abitur oder Fachhochschulreife als höchsten erreichten Schulabschluss an. Entsprechend war die Gruppe derjenigen Befragten, die einen Hauptschulabschluss oder (noch) keinen Schulabschluss hatte, in der Stichprobe aus Stadt B deutlich größer (5,9 Prozent bzw. 22,5 Prozent) als in der Stichprobe aus Stadt A (2,9 Prozent bzw. 9,3 Prozent). 

Auch gab es in der Stichprobe in Stadt B einen fast doppelt so hohen Anteil an Personen, die arbeitslos waren (18,6 Prozent), wie in der Stichprobe aus Stadt A (9,7 Prozent). Verglichen mit den offiziellen Arbeitslosenzahlen des Statistischen Bundesamtes im März 2014, die bei ca. 15 Prozent lagen, waren Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung arbeitslos waren, in der Stichprobe der Stadt A (Rekrutierung über das Einwohnermeldeamt) unterrepräsentiert, während sie in der Stichprobe der Stadt B (Befragung über Kinderärztinnen und Kinderärzte) überrepräsentiert waren. Die Unterschiede zwischen den Stichproben hinsichtlich Bildung und Erwerbsstatus spiegelten sich auch im Prozentsatz derjenigen Befragten wider, die angaben, existenzsichernde Sozialleistungen zu beziehen: In der Stichprobe aus Stadt B waren dies 31,2 Prozent der Befragten und damit rund elf Prozentpunkte mehr als in der Stichprobe aus Stadt A.

Inanspruchnahme der Unterstützungsangebote

Die Auswertung der Daten zeigte besonders im Bereich der Inanspruchnahme von Hilfen einen Unterschied zwischen den Stichproben der Städte A und B: Befragte in der Stadt A gaben insgesamt deutlich häufiger an, Angebote der Frühen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Hierbei sind natürlich auch die jeweilige Stichprobenzusammensetzung sowie das tatsächlich vor Ort vorhandene Angebot zu berücksichtigen.

Rangfolge der Nutzung: Auch wenn die Inanspruchnahme für viele Angebote in der Stichprobe in Stadt A deutlich höher war als in Stadt B, zeigten sich starke Ähnlichkeiten in der Rangfolge der Nutzung von Angeboten.

Besonders Hebammenhilfe bis zur achten Woche nach der Geburt, aber auch vorgeburtliche Betreuung durch eine Hebamme oder Geburtsvorbereitungskurse wurden von Familien sehr häufig in Anspruch genommen. Medizinische Angebote nach der Geburt (z.B. Rückbildungsgymnastik), Sport- und Wohlfühlangebote sowie Eltern-Kind-Gruppen wurden von den befragten Familien ebenfalls relativ oft in Anspruch genommen.

Bei den mehr zielgerichteten, intensiveren Maßnahmen zeigten sich im Vergleich dazu geringere Inanspruchnahmeraten: Die Unterstützung durch eine Familienhebamme oder die Beratung in einer Schwangerschaftsberatungsstelle wurden jeweils von circa 16 Prozent der Befragten genutzt.

Sehr selten (Inanspruchnahmeraten ≤ 5 Prozent) wurden hingegen Beratung in Familien- und Erziehungsberatungsstellen, Frühförderung, Beratung bei Regulationsstörungen oder Telefon- und Onlineberatung genutzt. (s. Abb. 2)

Inanspruchnahme nach Bildungsstand: Der Blick auf die Daten beider Stichproben zeigt deutliche Unterschiede in der Inanspruchnahme der Angebote nach Bildungsstand der Eltern auf. Die Involvierung von geringergebildeten Familien scheint bezüglich einiger der intensiveren Maßnahmen zu gelingen. So nahm im Vergleich zu höhergebildeten Familien ein höherer Prozentsatz von Familien mit geringerem Bildungshintergrund spezifische Beratungsangebote in Anspruch: Beratung in einer Schwangerschaftsberatungsstelle nahmen beispielsweise 23 Prozent bzw. 28 Prozent der Familien mit niedriger Bildung in Stadt B und Stadt A in Anspruch. Die Inanspruchnahme bei hochgebildeten Familien lag dagegen nur bei 14 Prozent bzw. 9 Prozent. Bei den niedrigschwelligeren, primärpräventiven Angeboten zeigte sich jedoch erneut, dass diese von Familien mit höherer Bildung mehr in Anspruch genommen wurden (z.B. Hebammenhilfe nach der Geburt mit niedriger Bildung in 46 Prozent bzw. 48 Prozent der Fälle gegenüber 84 Prozent bzw. 92 Prozent mit hoher Bildung). (s. Abb. 3)

Zufriedenheit mit den in Anspruch genommenen Angeboten:  Ergebnisse zur Zufriedenheit mit den in Anspruch genommenen Angeboten in den Stichproben beider Städte zeigten eine durchweg recht hohe Zufriedenheit, die unabhängig vom Bildungsgrad der Eltern war. Besonders mit den von Hebammen angebotenen Hilfen erklärten sich mindestens 70 Prozent der Familien sehr zufrieden und weniger als 10 Prozent waren nicht oder nur etwas zufrieden. Auch bei den weiteren Angeboten gaben mehr als 60 Prozent der Familien an, sehr oder eher zufrieden mit dem Angebot gewesen zu sein.

Die Daten ergaben keine Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Zufriedenheit mit den Angeboten und dem Bildungsgrad. (s. Abb. 4)

Motivierung von Familien zur Teilnahme an der Studie

Die Auswertung der beiden Pilotstudien zeigte, dass die Ansprache über Pädiater zu einer deutlich besseren Motivierung von belasteten Familien für die Teilnahme an der Studie führte. 

Auf diesem Wege können aussagekräftige, repräsentative Daten generiert werden, die das Ausmaß an Belastungen und den sich daraus ergebenden Unterstützungsbedarf in der Zielpopulation der Frühen Hilfen zuverlässiger schätzen als mittels Stichprobenziehungen über das Einwohnermeldeamt, die in der Regel einen hohen Mittelschichtbias aufweisen. Überdies haben sich die Kinderärzte der Pilotstudie als sehr motivierte und verlässliche Partner im Feld erwiesen. Daher wurde dieses Design für die Durchführung der anschließenden – zunächst unter dem Begriff Hauptstudie geführten – Repräsentativbefragung 2015 gewählt sowie für die Repräsentativbefragung 2022.

Diskussion der Befunde

Unterschiede in der Repräsentativität der Daten und der Nutzungserfassung
Die Daten der Piloten zeigen, dass in Stadt A gebildete Bevölkerungsschichten überrepräsentiert waren. Mit dem "Pädiaterdesign", das in der Stadt B erprobt wurde, konnten auch Menschen in Armutslagen und mit niedrigem Bildungsstand entsprechend ihres tatsächlichen Anteils in der Bevölkerung für eine Teilnahme an der Studie gewonnen werden. Aus diesem Grund wurde die Repräsentativbefragung "KiD 0-3: 2015" im "Pädiaterdesign" durchgeführt. 

Trotz dieser unterschiedlichen Stichprobenzusammensetzungen und der verschiedenen Zugänge erbrachten die Pilotstudien in Stadt A und B ähnliche Ergebnisse hinsichtlich Nutzungsmustern und Zufriedenheit mit den Angeboten, so dass diese insgesamt als robust und belastbar angesehen werden können.

Hohe Nutzungsraten sekundärpräventiver Angebote bei Familien mit geringem Bildungsgrad
Blickt man zusätzlich auf die tatsächliche Nutzung der Angebote unter den Familien, denen das Angebot auch bekannt ist, zeigen sich weitere interessante Punkte. Hier ergeben sich hinsichtlich "Willkommensbesuchen", "ehrenamtlicher Unterstützung" und insbesondere der "Familienhebammen" über alle Bildungsgruppen hinweg recht ähnliche Nutzungsraten. Da jedoch solche Angebote schwerpunktmäßig Familien in belastenden Lebenslagen mit geringer Bildung angeboten werden sollten, erhalten vermutlich auch viele Familien, für die diese Hilfe eigentlich nicht zugeschnitten ist, Unterstützung durch eine Familienhebamme. Die Befunde zeigen jedoch auch, dass geringer gebildete Familien nicht – wie oft vermutet – eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, bei diesen speziellen Interventionen teilzunehmen. Eine noch spezifischere Ansprache von Familien mit niedrigem Bildungsabschluss erscheint somit sinnvoll. 

Ein Blick auf die Nutzungsraten zeigt zudem, dass mehr niedriggebildete Familien in Beratungsstellen Unterstützung suchen, anders als bei Eltern-Kind-Gruppen. Hier war die Kenntnis der Angebote unter den gebildeten Gruppen höher. Gründe hierfür könnten darin liegen, dass solche Angebote oft mit Kosten verbunden sind, zumeist eine "Komm-Struktur" aufweisen und die Teilnahme in der Regel von den Familien selbst initiiert werden muss. Hier müssten gegebenenfalls Hürden für geringgebildete und belastete Familien weiter abgebaut werden; andererseits ließe sich aber auch die Frage diskutieren, ob solche Angebote für weniger belastete Eltern nicht auch geeigneter und passender sind.  

Primärpräventive Angebote werden häufiger genutzt, die Nutzung sekundärpräventiver Hilfen ist noch ausbaufähig
Betrachtet man die Häufigkeiten der Inanspruchnahme von Angeboten im Bereich Frühe Hilfen in den Pilotstudien in Stadt A und B, so zeigt sich, dass Angebote in Stadt B weniger in Anspruch genommen werden, was möglicherweise auf eine insgesamt geringere Verfügbarkeit von Angeboten in dieser Kommune zurückgeführt werden kann. Unabhängig vom Pilotstandort werden primärpräventive Angebote wie Hebammenhilfe (Nachsorge) oder Geburtsvorbereitungskurse deutlich häufiger in Anspruch genommen als intensivere, sekundärpräventive Maßnahmen wie die Betreuung durch eine Familienhebamme, Frühförderung oder die Beratung durch Schwangerschafts- und Erziehungsberatungsstellen. Die geringe Inanspruchnahme dieser spezifischen Angebote könnte durch geringe Zahlen von Familien mit entsprechenden Bedarfen zu erklären sein. Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass nicht alle Familien mit diesen Bedarfen auch eine Kenntnis der Angebote haben oder in diese vermittelt werden. Ein Beispiel stellt die Inanspruchnahme der Beratung zu exzessivem Schreien, Schlaf-und/oder Fütterstörungen dar: Diese steht in keinem Verhältnis zu Befunden zum eigentlichen Bedarf solcher Angebote. So weisen internationalen Studien zufolge circa 20 Prozent der bis zu 3-monatigen Kinder exzessives Schreien und 20 Prozent bis 30 Prozent der Säuglinge und Kleinkinder Ein- und Durchschlafstörungen auf. Auch aus den beiden Pilotstudien ergab sich eine mit der Literatur übereinstimmende Prävalenz von 22,7 Prozent der Kinder, die Probleme in mindestens einem Bereich der Regulation haben (Schreien, Füttern, Schlafen). Die Inanspruchnahmeraten der Beratung bei Schrei- und Fütterstörungen liegen jedoch in beiden Stichproben nur bei 1 Prozent bis 2 Prozent. Somit muss angenommen werden, dass viele Familien mit spezifischen Bedarfen noch nicht in die dafür vorgesehenen und geeigneten Hilfeangebote vermittelt werden bzw. nicht von der Existenz solcher Hilfen wissen. Möglicherweise spiegelt sich hier auch ein klinisch häufig zu beobachtender Trend wider, erst sehr spät, wenn die Problematik schon recht weit fortgeschritten ist, eine entsprechende Beratung aufzusuchen. 

Geringe Inanspruchnahme primärpräventiver Hilfen bei Familien in belastenden Lebenslagen
Betrachtet man die Inanspruchnahme der Angebote in Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Eltern, dann zeigt sich, dass die primärpräventiven Angebote entsprechend ihrer Konzeptionierung eine breite Masse, jedoch insbesondere die höher gebildeten Familien erreichen. Hebammenhilfe vor und nach der Geburt wird beispielsweise doppelt so häufig von hoch- als von niedrig gebildeten Familien in Anspruch genommen. Bei medizinischen Angeboten, Sport-, Freizeit- und Gruppenangeboten wird diese Differenz sogar noch deutlicher. Hier nehmen circa sechsmal so viele höher gebildete wie geringgebildete Familien teil. Diese Zahlen im Bereich der primärpräventiven Angebote sind wenig überraschend, da gerade primärpräventive Angebote allen Familien zur Verfügung stehen und insbesondere höher gebildete Familien oft und gerne in Eigeninitiative auf solche Angebote zurückgreifen.

Sekundärpräventive Angebote werden häufiger von Familien mit geringem Bildungsgrad in Anspruch genommen
Interessant ist nun der Blick auf die sekundärpräventiven Angebote. Es zeigt sich, dass Frühförderung, Beratung in Familien-, Erziehungs- und insbesondere in Schwangerschaftsberatungsstellen häufiger von Familien mit geringem Bildungsgrad in Anspruch genommen werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass in Schwangerschaftsberatungsstellen beispielsweise über die Bundesstiftung Mutter und Kind Gelder für die Erstausstattung des Kindes beantragt werden können, erscheinen diese Befunde nachvollziehbar und zeigen, dass die Angebote tatsächlich auch eher von Familien genutzt werden, für die sie konzipiert wurden.

Mangelnde Zielgerichtetheit des Angebots "Familienhebammen"
Betrachtet man jedoch das sekundärpräventive Angebot der Betreuung durch eine Familienhebamme, muss festgehalten werden, dass trotz des konzeptionellen Fokus auf Familien mit spezifischen Hilfebedarfen in beiden Städten circa doppelt so viele hochgebildete Familien von dem Angebot Gebrauch machen als weniger gut gebildete Familien. Im Hinblick auf die Daten der Pilotstudien in den Städten A und B muss in diesem Zusammenhang jedoch einschränkend auf eine Ungenauigkeit in der Formulierung des Items hingewiesen werden: Die Eltern wurden gefragt, ob sie das Angebot "Hebammenhilfe über die 8. Woche hinaus / Familienhebamme" genutzt haben. Da es möglich ist, Nachsorgehebammen auch nach der achten Lebenswoche des Kindes, zum Beispiel bei Stillproblemen oder zur Einführung von Beikost, zu konsultieren, könnten sich die Antworten hier nicht nur auf die Nutzung des Angebots "Familienhebamme" beziehen und so eine Verzerrung in Richtung einer höheren Nutzung des Angebots durch höher gebildete Gruppen bewirkt haben. Zukünftige Untersuchungen im Rahmen der Prävalenzforschung des NZFH werden diese Möglichkeit klären können.

Publikationen zum Studienprogramm KiD 0-3

Veröffentlichungen zum Studienprogramm "Kinder in Deutschland 0-3" im Rahmen der Prävalenz- und Versorgungsforschung des NZFH

Zur Übersicht