Migration und Frühe Hilfen
Familien mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung zu betreuen, stellt für Fachkräfte und freiwillig Engagierte eine besondere Herausforderung dar. Damit Frühe Hilfen auch zugewanderte und geflüchtete Familien erreichen, müssen Ansprache und Angebote migrations- und kultursensibel gestaltet sein.
Frühe Hilfen stehen allen Familien offen, richten sich aber insbesondere an Familien in belastenden Lebenslagen.
Aus der Forschung
Forschungsergebnisse des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) zeigen, dass sich Familien mit Migrationshintergrund bei zahlreichen familiären Belastungsfaktoren wie ungeplante Schwangerschaft, Gewalt in der Partnerschaft, hohe elterliche Belastungen und Situation als Alleinerziehende nicht von Familien ohne Migrationshintergrund unterscheiden. Andere Belastungsfaktoren – wie niedriger Bildungsstand, Anzeichen einer Depression und Erfahrungen harter Bestrafungen in der Kindheit – weisen Eltern mit Migrationshintergrund allerdings häufiger auf.
Bei Familien, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind, kommen weitere teils schwerwiegende Belastungen hinzu: Traumatisierende Erfahrungen vor, während und nach der Flucht, unsicherer Rechtsstatus bei unsicherem Aufenthalt und unsicherer Bleibeperspektive, prekäre multifaktorielle Lebensverhältnisse wie beengte Wohnsituation sowie Verlust sozialer Netzwerke, familiärer und kultureller Gewohnheiten.
Zugangsbarrieren und Erreichbarkeit
Zugleich finden sich bei Familien mit Migrations- oder Fluchthintergrund in höherem Maße Zugangsbarrieren zu den Frühen Hilfen, einhergehend mit besonderen Herausforderungen durch (noch) unzureichende Deutschkenntnisse und Unvertrautheit mit dem deutschen Sozial- und Gesundheitssystem. So konnten NZFH-Forschungen zeigen, dass Familien mit Migrationshintergrund über Unterstützungsangebote für Familien mit Kindern bis zu drei Jahren weniger gut informiert sind als Familien ohne Migrationshintergrund. Mit Ausnahme der Schwangerschaftsberatung und einiger aufsuchender Angebote wie die der Familienhebammen nutzen Familien mit Migrationshintergrund verfügbare Unterstützungsangebote weniger als Familien ohne Migrationshintergrund.
Versorgung in kommunalen Netzwerken
Eine Zusatzerhebung der Kommunalbefragung im Jahr 2023 hat die Versorgung von geflüchteten Familien in den Frühen Hilfen untersucht. Zur Überwindung von Sprachbarrieren setzten Kommunen im Jahr 2022 bei der Betreuung geflüchteter Familien auf übersetzende Laien und digitale Hilfsmittel. Rund zwei Drittel setzten Fachkräfte mit Fremdsprachenkenntnissen ein, knapp die Hälfte griff auf zertifizierte Dolmetschende zurück. Ein hoher Bedarf wurde für die Qualifizierung von Fachkräften deutlich: Gut drei Viertel der Kommunen gaben an, dass die Fachkräfte für die Versorgung traumatisierter Geflüchteter nicht ausreichend geschult waren.
Bedeutung für Frühe Hilfen
Für Fachkräfte der Frühen Hilfen ist es daher Chance und Auftrag zugleich, Familien über die zur Verfügung stehenden Angebote der Frühen Hilfen zu informieren, mit ihnen über deren Sinn und Nutzen für die Familie zu reflektieren und die Teilhabe an den Angeboten zu erleichtern. Sprachbarrieren, Aufenthaltsstatus und kulturelle Besonderheiten dürfen dabei nicht zum Ausschluss führen.
Das NZFH bietet Fachkräften daher Informationen, praktische Materialien und Impulse für ihre Arbeit mit den Familien, darunter eine Orientierung für Fachkräfte, die mit geflüchteten Familien arbeiten: Frühe Hilfen für geflüchtete Familien. Impulse für Fachkräfte sowie eine Arbeitshilfe mit Handlungsempfehlungen rund um die Schweigepflicht: Schweigepflichtentbindung kommunizieren – Sprachbarrieren überwinden.
Ein Sprachfilter bietet die Möglichkeit, Publikationen in verschiedenen Sprachen, zum Beispiel Flyer oder Filme für Eltern, zu suchen.
Plattform "Frühe Hilfen und Flucht"
Auf der Plattform Frühe Hilfen und Flucht bündelt das NZFH Unterstützungsangebote, Informationen und Arbeitshilfen für Fachkräfte, die geflüchtete Familien begleiten oder betreuen. Ein Übersetzungsdienst steht in 17 Sprachen zur Verfügung.
Angebote für Familien aus der Ukraine
Auf elternsein.info, der Website für Mütter und Väter von kleinen Kindern sowie weiteren Erziehungs- und Betreuungspersonen, hat das NZFH Beratungsangebote und wichtige Informationen für Schwangere und Familien auch auf Ukrainisch, Englisch und Russisch zusammengestellt und informiert in diesen Sprachen auch über Frühe Hilfen.
Publikationen
Sann, Alexandra / Küster, Ernst-Uwe / Pabst, Christopher / Peterle, Christopher (2022): Entwicklung der Frühen Hilfen in Deutschland. Ergebnisse der NZFH-Kommunalbefragungen im Rahmen der Dokumentation und Evaluation der Bundesinitiative Frühe Hilfen (2013–2017)
Materialien zu Frühen Hilfen, Band 14, Seiten 43-46