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Stärkung der Fehlerfreundlichkeit und Reflexivität von Fachkräften und Institutionen

Eltern werden im Kinderschutz als unfreiwillige Klientinnen und Klienten bezeichnet, weil sie im Falle begründeter Hinweise oder der Erkenntnis, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist, nicht die freie Wahl haben, ob sie kooperieren wollen oder nicht. Sowohl der Verdacht als auch eine konkret drohende erhebliche Schädigung des Kindes müssen zur Not auch gegen den Willen der Eltern abgeklärt beziehungsweise abgewandt werden. Eine Verweigerung der Mitwirkung oder fehlende Fähigkeiten zur Veränderung haben unter Umständen massive Konsequenzen für die Familien.

Umgang mit Machtgefälle

Nicht nur eine Inobhutnahme zum Schutz vor Gefahr für Leib und Leben des Kindes, sondern bereits das Recht, zur Not auch gegen den Willen der Betroffenen Informationen zur Abklärung eines Verdachtes einzuholen, sind Eingriffe in Persönlichkeitsrechte. Nur in wenigen Arbeitsfeldern in Deutschland sind die Akteure mit solchen Rechten ausgestattet. Auch wenn die Fachkräfte dem Paradigma "Hilfe vor Eingriff" folgend darum bemüht sind, eine gemeinsame Arbeitsbasis aufzubauen und die Eltern "ins Boot zu holen", ist es dennoch wichtig, dass sich die Akteure ihrer Macht und dem damit verbundenen Machtgefälle zu den Klientinnen und Klienten bewusst sind und dies gegenüber den Eltern auch transparent machen.

Die teilnehmenden Expertinnen und Experten nannten in dem Kontext diese Empfehlungen:

Verpflichtung zur Reflexion

Institutionen und Personen, die mit der Umsetzung des staatlichen Kinderschutzauftrages betraut sind, tragen nicht nur erhebliche Verantwortung, sondern sollten auch verpflichtet sein, ihre Arbeit und den Umgang insbesondere mit den damit einhergehenden Befugnissen laufend zu reflektieren. Die Bereitstellung der hierfür geeigneten Räume und notwendigen zeitlichen Ressourcen liegen bei den Institutionen und damit den Führungskräften. An ihnen liegt es auch, eine Kultur des Lernens aus Fehlern zu entwickeln, in der es nicht um die Suche nach den Schuldigen geht, sondern um institutionelle Qualitätsentwicklung im Kinderschutz.

Fehlerfreundliche Kultur

Verbindliche und regelmäßige Supervision kann beispielsweise ein geeignetes Mittel sein, um Fachkräften zu ermöglichen, sich mit der Frage zu beschäftigen, welchen Einfluss persönliche Sympathie oder moralische Empörung über das elterliche Verhalten auf ihre Arbeit in einem konkreten Fall haben. Ebenso können Routinen in Fallbesprechungen die Reflexivität in Institutionen erhöhen, wenn zum Beispiel Widerstand der Klientinnen und Klienten und erfolglose Hilfekonzepte selbstverständlich auch als potentielle Reaktion oder Folge sozialarbeiterischer Interventionen verstanden werden.

Wichtig hierbei scheint, dass ein Klima geschaffen wird, in dem sich die Fachkräfte offen mit (selbst-)kritischen Fragen und gescheiterten Interventionen befassen können. Fehlerfreundlichkeit heißt, Fehler oder Irrtümer in Entscheidungen oder Handlungen als unvermeidlich zu erachten (also kein Anspruch auf Perfektion) und entsprechend im Alltag sensibel und aufmerksam dafür zu sein. Zum einen können so kritische Entscheidungen und ‚Fehler‘ frühzeitig erkannt und unter Umständen größerer Schaden verhindert werden. Zum anderen wird durch die anschließende Rekonstruktion und Analyse der Situationen individuelles und vor allem institutionelles Lernen ermöglicht.

Würdigung der beraterischen Beziehung

Als Beispiel für institutionelles Lernen aus den Schwierigkeiten im Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zu Klientinnen und Klienten im Kinderschutz wurde die Würdigung der beraterischen Beziehung als bedeutender Wirkfaktor im Kinderschutz diskutiert. Fallanalysen haben gezeigt, dass der Beziehungsaufbau unter anderem aufgrund mangelnder Sympathie oder fehlenden Vertrauens der Klientinnen und Klienten in die beratende Fachkraft scheitert. Insofern könnten eine flexible Handhabung von Zuständigkeiten und die Möglichkeit eines Wechsels in der Fallzuständigkeit ein wichtiger Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Kinderschutz sein.

Qualifizierter Umgang mit Diskriminierungserfahrungen von Familien

Auch im Hinblick auf Rassismus und Antisemitismus als gesamtgesellschaftliche Phänomene sind Institutionen und Fachkräfte Sozialer Arbeit verpflichtet, aufmerksam und sensibel zu sein. Hierzu gehören sowohl das Bewusstsein gegenüber und ein qualifizierter Umgang mit Diskriminierungserfahrungen von Klientinnen und Klienten als auch eine klare Haltung gegenüber rassistisch geprägten Reaktions- und Arbeitsweisen der Institutionen und der darin arbeitenden Fachkräfte.

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