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Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz

Am 29. und 30. November 2022 fand das fünfte "Fachgespräch Kinderschutz" statt. In der Online-Veranstaltung unter dem vollständigen Titel "Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz. Anforderungen an Gefährdungseinschätzung, Hilfeplanung und Inobhutnahme" diskutierten rund 70 Expertinnen und Experten über verschiedene Aspekte zum Thema und erarbeiteten Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz.

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat dazu Vertreterinnen und Vertreter aus Jugendämtern, von freien Trägern, Verbänden und Fachgesellschaften, Repräsentantinnen und Repräsentanten der Verwaltung auf Landes- und Bundesebene sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft eingeladen.

Ziel des diesjährigen Fachgesprächs war es, die Anforderungen an die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Gefährdungseinschätzung, Hilfeplanung und der Inobhutnahme zu diskutieren. Auf der Grundlage nationaler und internationaler empirischer Forschungsergebnisse sowie zwei Beiträgen aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen wurden die unterschiedlichen Aufgabenbereiche im Kinderschutz im Hinblick auf den Einbezug von Kindern und Jugendlichen differenziert erörtert und Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Kinderschutzes entwickelt.

Hintergrund

Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, an allen sie betreffenden Angelegenheiten beteiligt zu werden. Darüber hinaus sind Fachkräfte laut Sozialgesetzbuch SGB VIII §8a Abs. 1 Satz 2 gesetzlich verpflichtet, sie zum Beispiel auch in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen. Des Weiteren betonen wissenschaftliche Erkenntnisse die Relevanz des Einbezugs junger Menschen an der Gefährdungseinschätzung, Hilfeplanung und Inobhutnahme insbesondere aus zwei Gründen: 

  • Die Beteiligung ist einerseits ein wesentlicher Bestandteil bei der Gestaltung und Aufrechterhaltung von wirksamen, fundierten und kindorientierten Hilfe- und Schutzkonzepten. 
  • Die Beteiligung trägt andererseits dazu bei, das Risiko von Sekundärschäden durch Kinderschutzmaßnahmen zu minimieren. 

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie eine gute Begleitung durch die Krise ist somit ein wichtiges Qualitätskriterium im Kinderschutz.

Sowohl vorliegende Studienergebnisse als auch Erfahrungsberichte von Kindern und Jugendlichen deuten derzeit auf eine oftmals nicht gelingende oder nur oberflächliche, von den betroffenen Kindern und Jugendlichen nicht als Beteiligung erlebte Praxis hin. Durch die Analysen von problematischen Fallverläufen im NZFH konnten einige Ursachen für zu wenig oder ungeeignete Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ausgemacht werden: So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass Fachkräfte zu wenig geschult darin sind, wie sie Kinder und Jugendliche ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend in geeigneter Form in die Gefährdungseinschätzung einbeziehen können. Darüber hinaus verzichten viele Fachkräfte auf Gespräche aus Sorge, bei den Kindern und Jugendlichen oder für das weitere Verfahren, zum Beispiel bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt, Schaden anzurichten.

Auch die Ergebnisse aus einer zwischen 2018 und 2019 durchgeführten Befragung des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DJI) in Kooperation mit dem NZFH von über 1400 ASD-Mitarbeitenden in Baden-Württemberg belegen, dass ein Gespräch mit Kindern zwar eine weitgehend, aber noch nicht durchgängig etablierte Routine im Kinderschutz darstellt. Zudem hat knapp ein Drittel (32 Prozent) der Fachkräfte Unterstützungsbedarf hinsichtlich der Gespräche und Gesprächsführung mit Kindern signalisiert.

Begrüßung

Das Fachgespräch wurde eröffnet von Mechthild Paul, Leiterin des NZFH und der Abteilung Sexualaufklärung, Verhütung, Familienplanung der BZgA, PD Dr. Christina Boll, Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik des DJI, sowie Madeleine Schrade, Referentin im Referat Kinderschutz, Prävention, sexueller Gewalt, Bundesstiftung Frühe Hilfen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Erkenntnisse aus Fallanalysen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz

Zum Einstieg stellte Christine Gerber, Leiterin des Projekts Qualitätsentwicklung im Kinderschutz im NZFH, DJI, in ihrem Impulsvortrag zentrale Erkenntnisse aus insgesamt 17 Fallanalysen zur Beteiligung von Kindern im Kinderschutz vor. Zunächst systematisierte sie mögliche Ursachen und Einflussfaktoren, die dazu führen, dass mit dem Kind/den Kindern nicht gesprochen wird beziehungsweise eine Beteiligung der Kinder an der Gefährdungseinschätzung nicht gelingt. Einen weiteren Schwerpunkt ihres Vortrags bildete der mangelnde Fokus auf Geschwisterkinder in der Gefährdungseinschätzung und Hilfeplanung sowie die Behandlung bereits entstandener Schädigungen/Belastungen der Kinder. Ausgehend von diesen Erkenntnissen plädierte sie unter anderem für die (Weiter-)Entwicklung von Schulungs- und Trainingsprogrammen für Fachkräfte, die Bereitstellung ausreichender zeitlicher Ressourcen sowie von Materialien für die Gespräche mit Kindern und die Verbesserung von kindspezifischen Angeboten.

Einbezug von Kindern und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung

Im Anschluss daran beschäftigte sich Professorin Dr. Renate Volbert, Professorin für Rechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule Berlin, in ihrem Vortrag mit der Beteiligung von Kindern an der Gefährdungseinschätzung. Sie ging zunächst auf Besonderheiten der Diagnostik und der diagnostischen Gespräche sowie die Wünsche der Kinder ein. Daran anschließend stellte sie Best Practice-Leitfäden vor und arbeitete Merkmale sozioemotional und kognitiv unterstützender Gesprächsführung heraus.

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aus der Perspektive von Betroffenen

Ruth Seybold, Gründungsmitglied im Verein Careleaver e.V. in Freiburg, schilderte in ihrem Impulsreferat die Frage nach der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz aus der Perspektive von jungen Erwachsenen, die einen Teil ihres Lebens in der stationären Kinder- und Jugendhilfe verbracht haben ("Careleaver") und sich am Übergang in ein eigenständiges Leben befinden. 

Mit der fiktiven Geschichte "Als ich in Obhut genommen wurde" aus der Perspektive eines betroffenen Kindes stimmte sie die Beteiligten in das Thema ein. Daran anknüpfend erläuterte sie die Beteiligung als eine Frage der Ressourcen und der Perspektive, stellte unmittelbare Erfahrungen von Careleavern vor und brachte Impulse zur Weiterentwicklung ein. Der Audiobeitrag und die daraus entstandenen Fragen durchzogen und bereicherten das gesamte Fachgespräch.

Ruth Seyboldt:

"Als ich in Obhut genommen wurde" – Ein Audiobeitrag über Beteiligung im Kinderschutz

Im Anschluss daran stellte Dennis Lehnert, Mitglied des Kinder- und Jugendhilfe Landesrats (KJLR) in Brandenburg, nach einführenden Worten von Antje König, Mitarbeiterin im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Land Brandenburg, Ergebnisse einer Befragung von jungen Menschen vor. Sein Vortrag mündete in sieben konkreten Lösungsvorschlägen. Hierzu zählt zum Beispiel die Bereitstellung von Materialien zur Information junger Menschen über ihre Rechte sowie Beschwerdemöglichkeiten, ein direkter Zugang zu den für sie zuständigen Personen im Jugendamt sowie eine bessere Berücksichtigung und sensiblere Reaktionen auf die emotionale Situation der jungen Menschen.

Beteiligung von jungen Menschen an der Hilfeplanung

In dem darauffolgenden Vortrag beleuchtete Professor Dr. Timo Ackermann auf Grundlage (internationaler) Forschungen sowie eigener Praxis- und Projekterfahrungen die Frage nach der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Hilfeplanung und zeigte Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Er ging auf Herausforderungen in der Beteiligung junger Menschen im Kinderschutz und der Hilfeplanung ein und stellte abschließend acht konkrete Entwicklungsperspektiven für die (Weiterentwicklung von) Partizipation in der Hilfeplanung vor.

Konzept zur Verwirklichung von Partizipation: Das Lundy-Modell der Partizipation

Der zweite Tag begann mit dem Impulsreferat von Professorin Dr. Laura Lundy, Ko-Direktorin des Centre for Children's Rights, Professorin für Kinderrechte an der Queen's University, Belfast, und Professorin für Recht am University College Cork. Laura Lundy beschäftigte sich in ihrem Input mit der Beteiligung von Kindern als Menschenrecht und stellte das Lundy-Modell mit den vier Ebenen "Raum" (die Kinder müssen die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern), "Stimme" (Kindern muss es erleichtert werden, ihre Meinung zu äußern), "Audienz" (der Meinung der Kinder muss Gehör geschenkt werden) und "Beeinflussung" (auf die Meinung muss ggf. reagiert werden) vor. Das nach ihr benannte Modell wird international rezipiert und dient vielen Kommunen und Institutionen zum Beispiel in Irland, Taiwan, Belgien und Neuseeland als Vorlage.

Beteiligung und Begleitung von jungen Menschen in Inobhutnahmesituationen

Im letzten Vortrag befasste sich Dr. Anne Katrin Künster, Leiterin des Instituts Kindheit und Entwicklung in Ulm, mit der Beteiligung (und Begleitung) von Kindern bei der Krisenintervention/Inobhutnahme durch den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Zunächst skizzierte sie die Situation der Inobhutnahme als ein Spannungsfeld, in dem mögliche Belastungen abgewogen werden müssen. Danach ordnete sie die Fremdunterbringung und Trennung aus bindungstheoretischer Sicht ein und setzte sie ins Verhältnis zur Bandbreite elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen. Schließlich führte sie verschiedene Belastungszeichen der Kinder in der Interaktion aus und leitete daraus Implikationen für die Praxis ab.

Zentrale Themen und Ergebnisse für die Weiterentwicklung im Kinderschutz

Im Verlauf der zweitägigen Veranstaltung diskutierten die Teilnehmenden auf der Grundlage der Impulsreferate sowohl in mehreren Kleingruppen als auch im Plenum zur zentralen Frage, wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz in Deutschland weiter verbessert werden könnte.

Im Ergebnis stellten sich neun Ansatzpunkte und Forderungen für die Weiterentwicklung heraus:

Viele Jugendämter befinden sich aufgrund hoher Personalfluktuation, in Folge des Fachkräftemangels unbesetzter Stellen und einer zunehmend hohen Zahl an Berufsanfängerinngen und -anfängern im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) in einer herausfordernden Situation. Laufende Fälle können immer häufiger nicht (mehr) in der gewünschten und erforderlichen Qualität bearbeitet werden. Zugleich besteht hoher Einarbeitungs- und Qualifizierungsbedarf vor allem für all jene Fachkräfte, die noch über kein oder nur wenig Erfahrung im Kinderschutz verfügen. Dies führt dazu, dass vor allem die Schulung von Grundlagen im Kinderschutz im Vordergrund steht und viele andere Qualitätsentwicklungsthemen, wie zum Beispiel die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz, derzeit kaum aufgegriffen werden können.

Durch diese Situation besteht aktuell die Gefahr, dass das Wissen über Schwachstellen im Kinderschutz, das zum Beispiel über Fallanalysen generiert wird, sowie Empfehlungen aus Qualitätsentwicklungsdiskursen mangels zeitlicher und personeller Ressourcen nicht aufgegriffen beziehungsweise umgesetzt werden können.

Von den Expertinnen und Experten wurde daher in der Diskussion empfohlen, die prekäre Situation in vielen Jugendämtern und der Kinder- und Jugendhilfe durch unterschiedliche Stakeholder (Politik, Wissenschaft und Praxis) zum Thema zu machen. Dabei sollte es zunächst darum gehen, "das Fundament" der Jugendhilfe im Sinne der Sicherung, beziehungsweise Wiederherstellung der notwendigen personellen und zeitlichen Rahmenbedingungen zu "sanieren". Im nächsten Schritt kann es dann (wieder) darum gehen, spezifische Themen der Weiterentwicklung des Kinderschutzes voran zu treiben. Hierzu sollten die Themen der Qualitätsentwicklung aus verschiedenen Perspektiven und auf unterschiedlichen Ebenen, wie dies zum Beispiel mit dem Ziel einer verbesserten Versorgung von Kindern psychisch erkrankter Eltern erfolgt ist.

Casemanagement-Konzepte sind in den ASDs in Jugendämtern weit verbreitet. Die Hauptaufgabe der Fachkräfte in diesen Konzepten besteht in der Fallsteuerung und Koordination des Helfersystems. In dieser Zeit werden die Kontakte zu Eltern, Kindern und Jugendlichen häufig stark reduziert und zeitlich begrenzt, da das Ziel eine schnelle Weitervermittlung ist. Insofern sind Casemanagement-Konzepte, so wie sie derzeit verwirklicht werden, nicht auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet. Vielmehr stehen die konzeptionellen Vorgaben und Signale zu Rolle und Auftrag der Fachkräfte sogar im Widerspruch zur qualifizierten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Kinderschutzverfahren, da weder zeitliche Ressourcen in ausreichender Menge noch der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung vorgesehen ist.

Konzepte, in denen die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen fest verankert und mit Arbeitsmaterialien untermauert sind (zum Beispiel das Programm "Signs of Safety"), können die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen hingegen auch in schwierigen Fragestellungen, wie zum Beispiel bei Vernachlässigung und Misshandlung, fördern. Insofern wären die Bereitstellung, Implementierung und Schulung verschiedener hierfür geeigneter Konzepte wünschenswert.

Nicht zuletzt sollte der Anspruch, Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Belangen zu beteiligen, auch in der Ausstattung und den Räumlichkeiten des Jugendamtes deutlich werden. Die Bereitstellung von Arbeitsmaterialien sowie eine kindgerechte Ausstattung der Räume sind nicht nur notwendige Rahmenbedingungen, sondern entfalten auch symbolische Wirkung und unterstreichen die Bedeutung, den der Einbezug von Kindern und Jugendlichen im Jugendamt hat.

Studien zeigen, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auch ein wichtiger Wirkfaktor bei der Gestaltung von Hilfe und Schutz ist. Für den Kinderschutz bedeutet das, dass Kinder und Jugendliche nicht nur als vulnerable Gruppe und auf das Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung sein reduziert werden dürfen. Stattdessen müssen sie vor allem als eigene Akteure gesehen und in ihrer Handlungsfähigkeit ernst genommen und gestärkt werden. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sollte daher als Querschnittsthema in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe fest verankert und spezifische Konzepte für ihre Verwirklichung entwickelt werden. 

Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das im Juni 2021 in Kraft getreten ist, wurde die inklusive Kinder- und Jugendhilfe auf den Weg gebracht. In den nächsten Jahren wird es verstärkt darum gehen, wie die Kinder- und Jugendhilfe in Zukunft aufgestellt sein muss, damit sie auch für Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung die geeigneten und notwendigen Hilfen vorhält. Ein wichtiger Baustein bei der Entwicklung einer inklusiven Lösung ist entsprechend von Beginn an die Entwicklung von spezifischen Konzepten und Strategien zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Dabei sollte nicht nur verankert sein, dass und an welchen Stellen sie beteiligt werden sollen, sondern auch Lösungen entwickelt werden, wie Fachkräfte hierzu qualifiziert werden können.

Ein weiteres Themenfeld, für das weiterhin Konzepte, Strategien sowie Qualifizierungsangebote benötigt werden, ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Da aufgrund von Sprachbarrieren in diesem Bereich häufig Dolmetschende eingesetzt werden müssen, erscheint es sinnvoll auch für diese Berufsgruppe sowohl Materialien als auch Schulungen anzubieten, um Beteiligung qualifiziert zu ermöglichen.

Analog der Materialien zu Kinderrechten, zum Beispiel vom Deutschen Kinderhilfswerk, sollten Informationsmaterialien für Kinder und Jugendliche entwickelt werden, in denen Kinderschutz, Kinderschutzverfahren, die beteiligten Akteure und vor allem die Rechte und Möglichkeiten der Kinder und Jugendlichen (inkl. Ombuds- und Beschwerdestellen) in geeigneter Form erklärt werden. Darüber hinaus sollten Gesetze oder Gesetzgebungsverfahren so gestaltet und dargestellt werden, dass sie für Kinder und Jugendliche verständlich sind.

Die Aufgaben, Kinder in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen, sie an der Konzeption von Hilfe und Schutz zu beteiligen sowie sie gut durch Krisen zu begleiten, erfordern jeweils spezifisches Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Fachkräfte. Fallanalysen weisen darauf hin, dass viele Fachkräfte zwischen den unterschiedlichen Beteiligungszielen nicht unterscheiden, beziehungsweise unsicher sind, wie die Beteiligung oder Einbindung jeweils kindgerecht und qualifiziert verwirklicht werden kann. Insofern hängen Art und Umfang der Beteiligung stark von der individuellen Haltung der Fachkraft und ihren Vorstellungen, was Einbindung und Beteiligung konkret ausmachen, ab. Um in Zukunft einen einheitlichen und fachlich hohen Standard zu etablieren, sollten die spezifischen Anforderungen an Einbindung und Beteiligung entwickelt und Fachkräfte geschult werden. Schulungen zu Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen unabhängig von Kontext und Ziel reichen nicht aus.

Fallanalysen weisen außerdem darauf hin, dass Fachkräfte auch aus Sorge, Fehler zu machen oder Schaden anzurichten, vor dem Einbezug der Kinder und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung oder ihrer Beteiligung bei der Erstellung eines Hilfe- und Schutzkonzeptes zurückschrecken. Neben großen Unsicherheiten zeigt diese Beobachtung auch, dass die Fachkräfte bei Gesprächen mit Kindern einen hohen Anspruch haben und befürchten, diesem nicht gerecht werden zu können. Die in der Folge unterbleibenden Gespräche mit Kindern haben zur Folge, dass den Kindern die Notwendigkeit und das Recht auf Beteiligung genommen wird. Insofern braucht es neben geeigneten Fortbildungs- und Trainingsangeboten auch eine "lernfreundliche Atmosphäre" im Alltag, die die die Fachkräfte ermutigt. Ein wichtiger Baustein hierfür ist eine fehlerfreundliche und reflexive Organisationskultur, die Lernen aus Erfahrung ermöglicht, Perfektion nicht zum Maßstab macht und Freude an der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vermittelt.

Kontaktabbrüche zu wichtigen Bezugs- und Bindungspersonen stellen für die Entwicklung der Kinder ein Risiko dar. Insofern sollte zum Beispiel sowohl bei Inobhutnahmen als auch bei der Einleitung stationärer Hilfen die Frage erörtert werden, welche wichtigen Bezugspersonen des Kindes es in der Familie oder im sozialen Umfeld, zum Beispiel in der Kita oder Schule, gibt und wie diese zur Unterstützung des Kindes in den Hilfeprozess einbezogen werden könnten. Hierzu gehört auch, im Vorfeld einer Inobhutnahme Überlegungen anzustellen, wie eine vertraute Person das Kind entweder begleiten oder zumindest zeitnah Kontakt zu dem Kind aufnehmen kann.

Fallanalysen zeigen, dass ein erhöhtes Risiko besteht, die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen im ASD aus dem Blick zu verlieren, wenn die Eltern viel Aufmerksamkeit binden und die Problemlagen der Familie komplex sind. Um die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen sicherzustellen, erscheint es daher sinnvoll, sie strukturell abzusichern, ohne dabei eine neue Stelle sowie zusätzliche Schnittstellen innerhalb der Organisation zu schaffen. Ein Beispiel dafür könnte Ko-Arbeit in komplexen Fällen sein, also die verbindliche Durchführung von Inobhutnahmen durch zwei Fachkräfte mit entsprechender Aufgabenverteilung.

Grundsätzlich wünschenswert wäre es, wenn Kinder und Jugendliche auch in Jugendämtern und bei freien Trägern stabile Ansprechpersonen hätten. Auch wenn sich dies aufgrund von Personalfluktuation häufig nicht verwirklichen lässt, sollte im Alltag das Bewusstsein für die Folgen eines Zuständigkeitswechsels gestärkt werden, um unnötige Wechsel von Ansprechpersonen zu vermeiden. Hierzu kann es auch sinnvoll sein, interne Schnittstellen kritisch zu hinterfragen. Auch Einrichtungswechsel sollten vermieden werden. Notlösungen oder vorübergehende Unterbringungen sind nicht im Interesse der Kinder und Jugendlichen und können zu zusätzlichen Belastungen bis hin zum Risiko für die kindliche Entwicklung werden. Eine qualifizierte Beteiligung der Kinder und Jugendlichen ist eine "Koproduktion" von öffentlichen und freien Trägern. Sie liegt einerseits in der Verantwortung der einzelnen Akteure, muss andererseits aber auch gemeinsam vereinbart und zum Beispiel in Hilfeplangesprächen verwirklicht werden.

Zur Unterstützung der Fachkräfte sollten Instrumente und Leitfäden bereitgestellt werden, die die Fachkräfte bei der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung, die Entwicklung des Hilfe- und Schutzkonzeptes sowie die Inobhutnahme unterstützen und ihnen Orientierung geben. Wichtig ist es hierbei, dass diese Materialien in einem partizipativen Prozess unter Beteiligung von Wissenschaft, Praxis, Fachverbänden sowie Betroffenenvertretungen (zum Beispiel Careleaver e.V.) entwickelt werden. Darüber hinaus können Erkenntnisse von Ombuds- und Beschwerdestellen genutzt werden, um Einblicke in die konkrete Kritik von Kindern und Jugendlichen an Art und Umfang ihrer Beteiligung zu gewinnen. Die Instrumente sollten einfach handhabbar sein und dazu beitragen, dass die Beteiligung von Kindern nicht nur eine Selbstverständlichkeit wird, sondern auch Spaß macht. Als Beispiel hierfür wurde das "Drei-Häuser-Modell" aus dem Konzept "Signs of Safety" genannt.

Da auch freie Träger und Berufsgeheimnisträger im Rahmen ihres Kinderschutzauftrages die Kinder und Jugendlichen beteiligen müssen, sollten spezifische Materialien und Leitfäden zum Beispiel für Schule, Kita oder Medizin entwickelt und bereitgestellt werden.

Grundsätzlich sollten Instrumente, die im Kinderschutz eingesetzt werden, auch wissenschaftlich evaluiert werden. Die Übernahme von Leitfäden aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel aus dem Strafrecht (forensische Interviews) oder aus dem Ausland, ohne eine Überarbeitung im Hinblick auf den Kinderschutz und die Arbeit der Jugendämter in Deutschland, wird sehr kritisch gesehen.

Wie bereits im dritten Fachgespräch Kinderschutz dokumentiert, in dessen Mittelpunkt das Thema Aus- und Fortbildung von Fachkräften im Kinderschutz stand, wird die Entwicklung eines Kompetenzprofils für die Ausbildung von Sozialarbeitenden im Kinderschutz als hilfreich und notwendig erachtet, um eine einheitliche Grundqualifikation sicherzustellen. Spezifisches Wissen und Fähigkeiten zum Einbezug und zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz, beziehungsweise in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, wären wichtiger Bestandteil dieses Profils.

Derzeit werden einige Fortbildungen zum Thema Gespräche mit Kindern angeboten, die jedoch auf keine ausreichende Nachfrage treffen. Der Grund hierfür ist unklar. Ebenso unklar ist der Effekt von solchen Schulungen für den Einbezug von Kindern und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung, ihre Beteiligung am Schutzkonzept sowie ihre Begleitung in Inobhutnahmen. Evaluationen hierzu fehlen bisher.

Speziell für Fortbildungen, in denen Gesprächsführungskompetenzen vermittelt werden, erscheint es sinnvoll, Schulungskonzepte zu entwickeln, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch ausführlich Gelegenheit geben, die Gesprächsführung in unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlicher Zielsetzung zu trainieren. Darüber hinaus erscheint es notwendig, sowohl Fachkräfte freier Träger als auch öffentlicher Träger traumapädagogisch zu schulen, um Belastungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen zu erkennen und qualifiziert reagieren zu können. Damit solche Schulungs- und Trainingskonzepte umgesetzt werden können, werden spezifisch geschulte Fortbildnerinnen und Fortbildner benötigt.

Kinder und Jugendliche sind im Kinderschutz nicht nur durch Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen besonderen Belastungen ausgesetzt, sondern unter Umständen auch durch die notwendigen Eingriffe zu ihrem Schutz. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, Fachkräfte zu schulen, die mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten und über Interventionen und Hilfen zu ihrem Schutz entscheiden. Beispielsweise können Fachkräfte darin geschult werden, das Verhalten von Kindern und Jugendlichen in Inobhutnahmesituationen zu beobachten, Stressreaktionen zu erkennen, sie richtig zu interpretieren und reagieren zu können. Hierdurch kann auch ein sensibler Umgang mit Risiken und Nebenwirkungen sozialarbeiterischer Interventionen im Kinderschutz gefördert werden.

Die Verwirklichung von Kinderrechten, wozu auch die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an allen sie betreffenden Belangen gehört, kann nicht der Selbstverpflichtung und individuellen Entscheidung der einzelnen Personen oder Institutionen überlassen werden. Vielmehr braucht es eine übergeordnete Stelle, die die Verwirklichung der Kinderrechte regelmäßig prüft, ihre Ergebnisse veröffentlicht und Handlungsbedarfe an Politik und Praxis zurückmeldet. Insofern müssen Instrumente und Verfahren entwickelt und zur Verfügung gestellt werden, um den Erfolg der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz überprüfen zu können.

Teil der Qualitätsentwicklung im Kinderschutz ist darüber hinaus die Entwicklung von Strategien zur regelmäßigen Qualitätskontrolle. So können spezifische Stärken und Schwächen im Kinderschutzsystem erkannt und der Erfolg von Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes eingeschätzt werden. Möglichkeiten auf institutioneller beziehungsweise kommunaler Ebene sind beispielsweise die Analyse von gelungenen und problematischen Fallverläufen sowie Dialogrunden mit oder die Befragung von Kindern und Jugendlichen. Darüber hinaus erscheint der Ausbau der Forschung im Kinderschutz in Deutschland notwendig, um empirisch fundierte Maßnahmen zur Weiterentwicklung im Kinderschutz zu ermöglichen.

Praxismaterial und Literatur

Auf Anregung der Teilnehmenden des Fachgespräches wurde im Anschluss eine Liste mit Praxismaterialien und Literatur zum Thema zusammengetragen (Stand April 2023). Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird nicht laufend aktualisiert. Die Zusammenstellung soll eine Recherche sowie den Zugang zu bestehenden Empfehlungen und Materialien zum Thema erleichtern und somit eine Weiterentwicklung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Kinderschutz anregen.