Wo stehen wir mit dem Nationalen Gesundheitsziel "Gesundheit rund um die Geburt"?
Die Autorin hat am Nationalen Gesundheitsziel (NGZ) mitgearbeitet und engagiert sich sehr für dessen Umsetzung. Es wurde 2017 vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) veröffentlicht (https://gesundheitsziele.de/nationale_gz/geburt).
Die Zusammensetzung der multidisziplinären Arbeitsgruppe (AG) zum Gesundheitsziel ist hochrelevant, denn die mitarbeitenden Institutionen, Fachgesellschaften, Verbände, Ministerien des Bundes und der Länder gehen mit der Veröffentlichung eine Selbstverpflichtung für die Umsetzung ein.
Die AG konzentrierte sich auf einen salutogenetischen Ansatz, der von den Frauen, den werdenden Eltern und den Kindern ausgeht. Er legt deren Bedarfe und Bedürfnisse zugrunde, verfolgt ihre Stärkung und hilft Risiken zu vermeiden. Das NGZ spannt einen Bogen von der Schwangerschaft über die Geburt und das Wochenbett ins erste Lebensjahr des Kindes. Es schaut kritisch die Lebenswelten und Rahmenbedingungen von Familien an. Das ist gleichermaßen Charme wie Problem des NGZ: Es liegt quer zu den verschiedenen Sozialgesetzbüchern (SGB V, VIII, IX, X, XII). Die Aufhebung der »säuligen« Bearbeitung und die Entwicklung einer systematischen Kommunikation dazwischen ist notwendig. Das ist ein ungeübter Prozess und Umsetzungswege dieses NGZ werden exemplarisch für alle NGZ evaluiert. 2014 und 2017 begleiteten Beschlüsse der Gesundheits-, Frauen-, Jugend- und Familienministerkonferenzen der Länder die Veröffentlichung des NGZ. Die Bundesländer setzen jeweils verschiedene Schwerpunkte. Das ist auch richtig angesichts ihrer doch etwas differenziert zu betrachtenden Datenlagen. Viele haben aber das Versorgungsproblem mit Hebammen als einziges Thema bearbeitet und das ist eine deutliche Verkürzung, der politisch und fachlich entgegengewirkt werden muss!
Vulnerable Gruppen verdienen besondere Beachtung, weil sich Belastungen nicht selten häufen. Das kann Armut und Bildungsferne sein, aber auch Familien mit einem behinderten Kind sind spezifisch belastet oder geflüchtete Frauen mit wenig Sprachkenntnissen in einem Land, dessen Systeme sie nicht kennen. Auch die Gewohnheiten des Rauchens und Alkoholtrinkens in der Schwangerschaft haben ein soziales Bias. Hier muss der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) eine besondere Rolle einnehmen, systematische Zugänge und differenzierte Unterstützung in interdisziplinären Netzwerken, die bisher wenig kooperieren, entwickeln und auch eine Komm- und Geh-Struktur etablieren.
Weil die Umsetzung des NGZ so komplex ist und Entscheidungsbereiche in Bund, Ländern, Gemeinden und Kommunen zu adressieren sind, hat sich ein Bündnis von Fachgruppen zusammen mit Elternverbänden gebildet, die proklamieren, dass die Kultur der Geburtshilfe in Deutschland von der Versorgung in der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres neu gedacht werden muss: Maßnahmen zur Sicherung langfristiger Gesundheit, für ein respektvolles und gewaltfreies Miteinander rund um die Geburt müssen strukturell verankert werden. Sie stellen fest, dass dem Anspruch der gesamtgesellschaftlichen Perspektive nur ein Nationaler Geburtshilfegipfel gerecht werden kann. Ein Strategiepapier ist unter https://arbeitskreis-frauengesundheit.de veröffentlicht. Es kann institutionell und persönlich gezeichnet und soll in die politischen Prozesse für die kommende Bundestagswahl eingespeist werden.