Haltung ist die Basis für alles
Claudia Tiedemann ist als Sozialpädagogin im Amt für Soziale Dienste der Freien und Hansestadt Bremen tätig. Seit April 2020 ist sie Netzwerkkoordinatorin Frühe Hilfen. Das Gespräch wurde für die im Oktober 2021 veröffentlichte Ausgabe des FRÜHE HILFEN aktuell geführt.
Was würden Sie als Ihre wichtigsten Erfahrungen im Prozess der QDFH bezeichnen?
Claudia Tiedemann: Die Strahlkraft der gesamten Mischung: Es war super, so viele neue Impulse und Input zu verschiedenen Themen rund um die Qualitätssicherung zu bekommen. Auch der Austausch mit den anderen war wichtig. So hat man immer neue Perspektiven kennengelernt, das hat unser Wissen auf jeden Fall erweitert und einen kreativen Prozess in Gang gesetzt. Das Projekt war sehr lang angelegt. Dadurch dass die Termine so kontinuierlich waren, konnten wir das Thema gar nicht mehr aus den Augen verlieren und sind immer am Ball geblieben. Wir haben vor jedem neuen Termin rekapituliert: Was war beim letzten Mal? Auf diese Weise wird das sehr viel stärker verinnerlicht als bei einer einmaligen Veranstaltung.
Nach dem ersten Drittel begann Corona. Das war ein großer Umbruch, bei dem auch die Projektstruktur und die Planung durcheinandergewirbelt wurden.
Was hat Corona für die QDFH bedeutet?
T: Ganz wichtig fand ich den Umgang mit Störungen und Herausforderungen durch diese ganz neue Situation mit Corona. Die Bewältigung dieser Herausforderung ist für mich persönlich sehr mit den Qualitätsdialogen verbunden, weil ich als Netzwerkkoordinatorin erst am 1. April 2020 angefangen habe. Das war die Zeit, in der wirklich nichts mehr ging. Toll war, dass ich mich sehr gut in die Qualitätsdialoge einarbeiten konnte, weil bei inforo das doch sehr komplexe Projekt gut hinterlegt war: Wo stehen wir auf der Timeline? Welche verschiedenen Ebenen gibt es? Die Systematik dort war sehr hilfreich. In der Situation waren die Veranstaltungen der Qualitätsdialoge ein großartiges Angebot zum Lernen.
Wir hatten im September eine Veranstaltung, die unglaublich schwierig war; die wird, glaube ich, niemand vergessen, der dabei war. Aber sie hat dazu geführt, dass wir unheimlich viel für die zukünftige Arbeit mitgenommen haben: Wie gehe ich mit Störungen um? Was muss man vorbereiten? Woran muss ich denken? Das ist bei den QDFH nichts anders als bei den Netzwerktreffen, das kann man übertragen.
Da kommt die doppelte Vermittlungspraxis ins Spiel, was ich absolut großartig fand in allen Veranstaltungen: Man bekommt nicht nur Input zu Themen, sondern lernt immer auch, wie man Dinge macht. Für mich als Netzwerkkoordinatorin war das wichtig zu sehen, wie man auch umstellen kann: Wie kommt man digital gut an, wie begrüßt man, wie kann man trotzdem dialogisch arbeiten? Durch diese Umstellung auf Digitalität in den QDFH habe ich viel gelernt und das bildet ja auch die Realität im letzten Jahr in vielen Netzwerken ab.
Welche Themen waren Ihnen besonders wichtig?
T: Die Themen, die wir als Schwerpunkte gelistet hatten, waren Partizipation der Eltern, Kommunikation im Netzwerk und die Professionen im Netzwerk zusammen zu bringen. Durch die Corona-Pandemie gab es nun Themen, mit denen keiner gerechnet hat, bei denen man aber ganz viel für die Arbeit profitieren konnte. Es war ein doppeltes Lernen und dadurch sehr wertvoll.
Auf der Abschlusskonferenz war mein Eindruck, dass die Elternpartizipation ein zentrales Thema für alle Beteiligten war.
Ein weiteres Thema waren wie gesagt die Kommunikationsstrukturen: Wie können Informationen verlässlich weitergegeben werden, zum einen im kommunalen Netzwerk, aber auch in dezentrale Strukturen.
Und zur Annäherung der Professionen: Interdisziplinarität und das Zusammenwachsen im Netzwerk sind ja Standardanforderungen in den Frühen Hilfen. Das weiter voranzubringen ist für uns ein zentrales Anliegen. Wir in Bremen haben die besondere Situation, dass wir das Netzwerk zu zweit leiten: Meine Kollegin aus dem Gesundheitsamt hat einen medizinischen Hintergrund, ich komme aus dem Jugendamt, das ist eine großartige Kombination. Wir schätzen das beide sehr, merken aber, dass wir aus unterschiedlichen Bereichen kommen und anders an Dinge herangeht. Das ist aber auch sehr bereichernd.
Wie bewerten Sie den Verlauf der QDFH?
T: Ich konnte viel für meine Arbeit mitnehmen. Es war prima organisiert, ich konnte über inforo auch mittendrin gut einsteigen. Alle waren offen, hilfsbereit, flexibel und kreativ, mit offenem Ohr für unsere Anliegen. Das NZFH hat im Rahmen der Qualitätsdialoge einen Workshop für die besondere Herausforderung der Arbeit in Großstädten angeboten. Das wurde aus den QDFH heraus entwickelt, das heißt man hat wirklich auf die Anforderungen reagiert. Das war super, denn ich habe manchmal den Eindruck, die schiere Fülle der Akteure erschlägt einen. Wie man das unter ein Dach bekommen und die Perspektive aller berücksichtigen kann, ist eine wichtige Frage. Dabei wurde auch eine Co-Koordination empfohlen. Da konnten wir uns so ein bisschen auf die Schulter klopfen: Wir haben das und es ist wirklich total gut!
Welche weiteren Schritte planen Sie konkret in Bremen?
T: Wir nehmen viele Ideen mit, die wir bewegen. Konkret planen wir eine Transferveranstaltung zu den QDFH, wieder mit Unterstützung des NZFH. Das Thema wird Elternpartizipation und Haltung sein. Elternbeteiligung ist sicher ein Thema, an dem niemand vorbeikommt, der sich mit Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen befassen will. Und ich finde das nicht immer einfach. Wenn man Beteiligung ernst nimmt, wird die Arbeit weder schneller noch leichter noch unaufwändiger. Das kostet Zeit. Vielleicht hat man auch mal ein Ergebnis, mit dem man nicht gerechnet hat und das einem eigentlich nicht in den Kram passt. Aber das ist das Thema, an das wir herangehen müssen.
Klar ist, dass es nicht reicht, mal einen Fragebogen für Eltern zu machen „Wie hat es denn gefallen?“, sondern dass Qualität ganz viel mit professioneller Haltung und Einstellung zu tun hat. Dabei müssen wir uns selbst auf den Grund gehen. Haltung ist einfach die Basis für alles.