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Eltern ermutigen und stärken

Die Präsidentin des Bundesverbandes der Familienzentren e. V. und Vorstandsmitglied der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie berichtet über Schnittstellen der Familienzentren mit den Frühen Hilfen. Eine Kurzfassung des Gesprächs mit Daniela Kobelt Neuhaus ist im September 2020 im Infodienst des NZFH, FRÜHE HILFEN aktuell, erschienen.

Frau Kobelt Neuhaus, was sind die Kernkompetenzen von Familienzentren?

Daniela Kobelt Neuhaus: Familienzentren im Sinne des Bundesverbandes der Familienzentren e. V. sind Einrichtungen, die familienbezogen und bedarfsorientiert sicherstellen, dass Kinder und ihre Familien ganzheitlich in all ihren Lebenslagen wahrgenommen, begleitet und gestärkt werden. Der Begriff „Familienzentrum“ ist hier ein Oberbegriff für sehr unterschiedliche Einrichtungen, die einen passgenauen Mehrwert für vielfältige Familien schaffen und diese mit in die Planung, Umsetzung und Gestaltung der Angebote einbinden.

Im Idealfall finden bereits werdende Eltern im Familienzentrum ihre niederschwellige zentrale Anlaufstelle, zum Beispiel durch kostenfreie Beratungsangebote im Zentrum oder durch Hinweise auf Angebote anderer Akteure. Gerade in der Phase vor der Geburt, wenn aus einem Paar eine Familie werden soll, benötigen viele Eltern besondere Begleitung. Dienlich sind zum Beispiel Hebammensprechstunden – gerne in unterschiedlichen Sprachen – Baby- und Kindersachentauschbörsen oder Schwangerschaftsberatung. Später sind dann Stillkurse und Alltagsfragen im Umgang mit Neugeborenen wichtige Themen. Vielfach geht es den Eltern weniger um die Professionalität der Angebote als um den Kontakt zu anderen Eltern in ähnlicher Lebenslage in einem geschützten Rahmen.

Die zentrale Kernkompetenz von Familienzentren ist der respektvolle Umgang mit den Bedürfnissen von Familien, die natürlich unglaublich verschieden sind. Im Familienzentrum werden zunächst alle Anliegen und Vorstellungen respektiert. Im Rahmen des vor Ort Möglichen und unter Berücksichtigung von Gesetzen und Menschenrechten wird im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe mit den Familien gemeinsam nach passenden Lösungen oder Angeboten zu Themen wie Zusammenleben, Bildung, Erziehung, Gesundheit, Arbeiten und Wohnen gesucht. Daher verstehen wir Familienzentren als Orte der Begegnung, Bildung, Unterstützung und der Erfahrung Vieler. Sie knüpfen an nachbarschaftliche Lebenszusammenhänge an. Mitarbeitende in Familienzentren denken und handeln präventiv, gesundheitsfördernd, ressourcenorientiert und ergebnisoffen.
 
Was macht Familienzentren zu guten Partnern Früher Hilfen?

N: Die Zusammenarbeit von Frühen Hilfen mit Familienzentren ermöglicht eine kontinuierliche und bedarfsgerechte Begleitung von Eltern mit jüngsten Kindern. Frühe Hilfen halten systemübergreifend ein multiprofessionelles Angebot für Eltern und Kinder bis zu drei Jahren vor. Man kann sie sozusagen als Klammer zwischen Sozial- und Gesundheitswesen, Schwangerenbegleitung, Frühförderung und Früher Bildung betrachten, mit spezifischen Unterstützungsleistungen. Familienzentren haben punktuell ebenfalls mit all diesen Systemen zu tun und integrieren viele Elemente Früher Hilfen in ihrem Angebot wie Sprechstunden von Familienhebammen, Babymassagen etc. Auch wenn die Ursprungskonzepte für Familienzentren und Frühe Hilfen aus unterschiedlichen Anlässen entstanden sind, zielen heute beide darauf ab, Familien bzw. Eltern zu ermutigen und ihre Stärken zu stärken.
 
Typische Belastungssituationen von Eltern, die niederschwellige Angebote im Familienzentrum suchen, sind zum Beispiel Armut, Gewalterfahrungen, frühe Mutterschaft, Alleinerziehend zu sein, Stressbelastung durch Ehekrisen oder durch besonders häufiges und andauerndes Weinen von Kindern. Auch Kinderreichtum kann dazu führen, dass Eltern „nicht mehr können“. Hier gilt es jeweils im Netzwerk Frühe Hilfen die passgenaue Unterstützung für die spezifischen Anliegen von Eltern und Kindern zu finden. Viele Eltern sind es nicht gewohnt, Anliegen zu formulieren oder Hilfe zu suchen. Durch die kontinuierliche Begleitung in diversen Angeboten des Familienzentrums können Mitarbeitende im Zentrum etwas über die Anliegen der Familien erfahren und vermittelnd die Wege zur Unterstützung aufzeigen.
 
Frühe Hilfen sind oft am örtlichen Jugendamt angegliedert. Nach wie vor hat das Jugendamt für einige Eltern, leider auch für Familien mit multiplen Problemlagen und besonderen Bedarfen, eine eher abschreckende Wirkung. Die Vermittlung von Angeboten über ein Familienzentrum, gegebenenfalls unterstützt durch die persönliche Elternbegleiterin und eingebettet in eine Gruppe anderer Familien mit ähnlichen Themen, erleichtert manchen Eltern den Zugang zu Angeboten der Frühen Hilfen und auch zum Jugendamt. 
 
Wie bedeutsam ist eine sozialräumliche Organisation der Angebote?

N: Vielerorts wurden Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren weiterentwickelt, wenn diese in einem Umfeld mit besonderem Entwicklungsbedarf liegen. In solchen Quartieren kann davon ausgegangen werden, dass etwa die Hälfte der Familien mehr oder weniger starke Belastungen mitbringt. Viele dieser Familien leben auf engem Raum, sind wenig mobil, haben einen geringen Bildungsstand oder sind ohne Arbeit. Diese Familien schaffen es kaum, mit ihren Kindern verschiedene Einrichtungen und Institutionen aufzusuchen, wenn diese oder sie selbst Hilfe benötigen. Genutzt werden in der Regel meist nur fußläufig zu erreichende Institutionen und Angebote, die fernab von behördlicher Einflussnahme erscheinen. Dazu gehören niederschwellige offene und kostenfreie Angebote für Frauen, für Eltern mit Kindern und gegebenenfalls auch Kinderärztinnen und -ärzte. Aber auch das Job Center bekommt mehr Zulauf, wenn es Sprechstunden am Wohnort der Familien organisiert.
 
Familienzentren in einem Sozialraum können als eine Art „One-Stop-Shop“ die geeigneten Orte und Anlaufstellen für alle Familien sein. Dort finden sowohl Kinder als auch Eltern entsprechende Ansprache unter einem Dach. Gleichzeitig haben sie wie die Frühen Hilfen eine Art Brückenfunktion zu weiteren Partnerinnen und Partnern im Sozialraum, die sich ergänzend mit ihren Kompetenzen einbringen. Je besser alle Akteure – auch die Kinderärztinnen und -ärzte – im Stadtteil vernetzt sind, desto enger knüpfen sich die Maschen rund um die Familien vor Ort und ihre Bedarfe können verstanden und aufgegriffen werden.
 
Im Familienzentrum selbst liegt der Schwerpunkt auf der partizipativen Angebotsentwicklung mit den Familien sowie auf der gezielten Weiterführung der Förderung der Kinder aus Familien in schwierigen Lebenslagen, damit Effekte nicht verpuffen. Immer wieder werden Eltern aber auch motiviert, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen. Langfristig erweitert sich die Handlungsfähigkeit der Eltern
 
Vernetzung und Kooperation der Akteure untereinander im Sozialraum sind unbedingt zu gestalten, damit keine Doppelangebote, Konkurrenz oder gar Bevormundung im Sinne von Priorisierung entstehen. Es kommt immer wieder vor, dass verschiedene Angebote aneinander vorbei oder nebeneinander her arbeiten oder dass sich Akteure mit unterschiedlichen Mitteln um dieselben Ressourcen bemühen. Die Gestaltung der Vernetzung kann in einem Stadtteilbüro, im Jugendamt oder auch in einem Familienzentrum erfolgen. Letzteres bedeutet, dass dafür Ressourcen bereitgestellt werden müssen.
 
Was wird hierfür benötigt?

N: Damit die Kooperation und Vernetzung funktioniert, müssen die Informationen über die einzelnen Partner im Netzwerk Frühe Hilfen gut vermittelt werden und bekannt sein. Nach wie vor scheint es an einzelnen Orten so etwas wie „Kundenneid“ zu geben. Diesem kann nur begegnet werden, wenn die Rollen der Akteure und ihre Kompetenzen gut definiert sind. Ziel ist, vielfältige Angebote mit guter Qualität von unterschiedlichen Trägern und Institutionen zum Wohle der Familien zu verbinden. Hierfür sind eine ausreichende finanzielle Ausstattung, regelmäßiger Austausch und klare Absprachen, Fortbildung und eine gemeinsame Haltung nötig.
 
Wie sehen Sie die zukünftige Rolle der Familienzentren in Bezug auf Frühe Hilfen?

N: Die Familienzentren gibt es nicht, genauso wenig wie die Frühen Hilfen. Vor Ort müssen jeweils die Potenziale der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure zur Entwicklung einer bedarfsgerechten Versorgungsstruktur gebündelt werden. Familienzentren bieten Möglichkeiten zum multiprofessionellen fachlichen Austausch und zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Netzwerke Frühe Hilfen. Sie sind Präventionsorte. Sie „behandeln“ nicht, sondern agieren als Seismographen, hören die Stimmen der Familien und speisen sie in die Bedarfserhebung ein. Fachkräfte in Familienzentren unterbreiten neben vielen anderen auch Angebote der Frühen Hilfen und vermitteln Familien bei Bedarf unkompliziert in weitere Angebote.

Infodienst FRÜHE HILFEN aktuell

Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe sind Familienzentren als Kooperationspartner der Frühen Hilfen. Familienzentren, Familienbüros und vergleichbare Einrichtungen im Sozialraum sind zentrale Anlaufstellen für die unterschiedlichen Belange von Eltern und Kindern und damit ideale Orte für die Angebote der Frühen Hilfen.

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