Frühe Hilfen brauchen Verlässlichkeit – dann wird aus einer Idee eine Haltung
Ein Gespräch mit Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Frau Schwesig zieht zur Halbzeitkonferenz am 13. November 2014 in Berlin Bilanz. Sie nennt Ergebnisse der Begleitforschung und blickt in die Zukunft.
Frau Ministerin Schwesig, Sie sind seit einem Jahr im Amt. Nun hat die Halbzeitkonferenz zur Bundesinitiative Frühe Hilfen stattgefunden. Was bedeuten die Frühen Hilfen für Sie und wo stehen die Frühen Hilfen?
Die Frühen Hilfen haben einen hohen Stellenwert für mich. Sie sind ein wichtiger Baustein meiner Kinder- und Jugendpolitik für ein gesundes Aufwachsen von Kindern. Im Vorfeld der Bundesinitiative wurde systematisch ermittelt, was für den Erfolg Früher Hilfen maßgebend ist: Was wir brauchen, sind gut funktionierende kommunale Netzwerke, in denen Akteure aus Jugendhilfe und Gesundheitswesen dauerhaft und zuverlässig zusammenarbeiten. Schon heute haben wir viel erreicht: 92,5 Prozent aller Jugendamtsbezirke haben Netzwerke für Frühe Hilfen bzw. Kinderschutz eingerichtet. Überall dort wurden auch Koordinierungsstellen geschaffen, die ebenfalls wichtig sind, um Frühe Hilfen umzusetzen. Damit wurde dem gesetzlichen Auftrag des Bundeskinderschutzgesetzes, ein möglichst frühzeitiges, koordiniertes und multiprofessionelles Angebot im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren vorzuhalten, nachgekommen.
Welche Aufgaben stehen bis zum Ablauf der Bundesinitiative Ende 2015 und darüber hinaus an?
Erste Ergebnisse aus der Begleitforschung zeigen, wo nun verstärkt angesetzt werden muss: Vertreterinnen und Vertreter des Gesundheitswesens wie Kinderärztinnen und -ärzte, Geburtskliniken und Kinderkliniken sind in den lokalen Netzwerken vertreten, aber seltener als die Kinder- und Jugendhilfe. Sie sind jedoch wichtige Partner, weil sie regelmäßig mit den Kindern und Familien Kontakt haben und großes Vertrauen genießen. Hier müssen Strukturen und Möglichkeiten des Austausches geschaffen werden, die ihnen die Zusammenarbeit leichter machen. Modelle, wie es gehen kann, sind bereits entwickelt worden. Diese gilt es jetzt, in der Fläche umzusetzen. Wichtig ist es auch, dass für die Fachkräfte in den Frühen Hilfen bundesweit eine gute Qualifizierung erreicht wird. Wir haben Kompetenzprofile entwickelt, die eine Orientierung für die Einstellung und Fortbildung von Familienhebammen, Familien-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pflegern schaffen und Hinweise geben, was diejenigen können müssen, die Netzwerke koordinieren. Nicht zuletzt durch die Bundesinitiative gibt es heute einen größeren Bedarf an Fachkräften in den Frühen Hilfen. Die Kommunen müssen daher nach wie vor mit aller Kraft geeignete Personen gewinnen und qualifizieren.
Woran erkennen Sie den Bedarf und die Einschätzungen der Fachpraxis?
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen ist als Bundeskoordinierungsstelle mit der Begleitforschung und Evaluation der Bundesinitiative betraut. Es wird die Gesamtentwicklung der Frühen Hilfen weiterhin evaluieren und damit die Qualität der Arbeit in den Kommunen sichern. Auf Grundlage erster Auswertungen wissen wir, dass die Bundesinitiative bereits jetzt einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern leistet. Immerhin 76 Prozent der Jugendamtsbezirke haben das bestätigt. Wir wissen auch, dass in rund drei Viertel der Kommunen das Angebot der längerfristigen aufsuchenden Betreuung und Begleitung von Familien durch Familienhebammen und Fachkräfte vergleichbarer Gesundheitsfachberufe neu aufgebaut, ausgebaut oder verbessert wurde. Die hohe Bedeutung dieses Angebots im Kontext Frühe Hilfen wurde durch die Forschung bestätigt. Auf diese Weise können auch Eltern mit niedrigem Bildungsgrad besser erreicht werden.
Was wissen Sie über den Unterstützungsbedarf der Familien?
Die Sichtweise der Eltern ist uns sehr wichtig. Auch dazu erwarten wir repräsentative Daten. Familien mit Kleinkindern werden zu ihrer Lebenssituation befragt. Dabei kommen Belastungen ebenso in den Blick wie Ressourcen und der Unterstützungsbedarf, den die Familien selbst wahrnehmen. Wir fragen zum Beispiel, welche Unterstützungsangebote sie kennen und nutzen bzw. selber hilfreich finden. Aus Pilotstudien können wir bereits sagen, dass durch aufsuchende Hilfeangebote besonders Familien erreicht werden, die bisher nicht so gut Zugang zuden Frühen Hilfen gefunden haben. Zu diesen aufsuchenden Hilfeangeboten gehören zum Beispiel der einmalige Willkommensbesuch nach der Geburt und die Begleitung durch Familienhebammen. Weitere Ergebnisse werden im Herbst 2015 vorliegen.
Werfen Sie mit uns einen Blick in die Zukunft Frühe Hilfen 2020
Bei den Frühen Hilfen ist Verlässlichkeit das Wichtigste. Nur wenn eine Kommune weiß, dass Geldmittel auch in zwei oder vier Jahren zur Verfügung stehen, stellt sie Fachkräfte dauerhaft ein, qualifiziert sie und macht sich das Thema zu eigen. Verlässlichkeit, das bedeutet: auf Dauer angelegt, kein zeitlich befristetes Projekt. Verlässlichkeit ist nötig, damit aus einer Idee eine Haltung wird. Ab 2016 stellt der Bund einen Fonds zur Sicherstellung der Netzwerke für Frühe Hilfen und psychosoziale Unterstützung von Familien zur Verfügung. Dies ist bereits im Bundeskinderschutzgesetz festgelegt. Es gibt noch viel zu tun: Beispielsweise ist es sinnvoll, die Übergänge zwischen aufsuchenden Hilfen und Kindertagesbetreuung gut zu gestalten. Es gilt, in den Frühen Hilfen auch die Väter zu berücksichtigen und Familien mit und ohne Migrationshintergrund gleich gut zu erreichen. Wir möchten die Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Gesundheitswesen weiter verbessern. Darüber hinaus denken wir über Gesamtstrategien für Kommunen nach, um eine gute Versorgung auch über die Frühen Hilfen hinaus zu gewährleisten, also wenn die Kinder älter als drei Jahre sind. Ich wünsche mir, dass 2020 Familien genauso selbstverständlich Angebote der Frühen Hilfen in Anspruch nehmen, wie sie heute zum Arzt gehen, wenn das Kind krank ist.