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Es lohnt sich, diesen Weg zu gehen

Sebastian Ottmann ist Leiter des Kompetenzzentrums Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Im Gespräch erläutert, warum er jedem Netzwerk empfehlen würde, sich mit Wirkungsorientierung auseinanderzusetzen.

Auszüge des Gesprächs sind im Frühe Hilfen aktuell 1/2025 erschienen.

"Ich würde jedem Netzwerk empfehlen, sich mit Wirkungsorientierung auseinanderzusetzen", sagt Sebastian Ottmann im Interview.

Herr Ottmann, was ist zentral am Konzept der Wirkungsorientierung?

Das Zentrale ist, dass man vom Ergebnis der Wirkung aus denkt, die durch ein Angebot bei einer Zielgruppe eintreten soll. Man denkt nicht im ersten Schritt darüber nach, welche Aktionen oder Aktivitäten für eine Zielgruppe nötig sind, sondern schon bei der Planung wird überlegt, welche Wirkung man eigentlich erzielen will. Im gesamten Arbeitsprozess geht es darum, das Handeln nach der Wirkung auszurichten.

Sie befassen sich mit Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Wie kann Wirkung dort gemessen werden?

Wenn man sich Gedanken gemacht hat, welche Wirkung man erzielen kann, kann man das später auch empirisch erfassen. Ich kann dann darstellen, welche Veränderungen es in meiner Zielgruppe gegeben hat, wie sehr die Teilnehmenden von einem Angebot profitiert haben, ob es Veränderungen gab, zum Beispiel beim Kompetenzerwerb oder Wissenserwerb.

Um Wirkung im eigentlichen Sinne nachzuweisen, bräuchte es idealerweise ein sogenanntes Vergleichsgruppen-Design, wie man es auch aus der Medizin kennt. Dabei werden nicht nur die Teilnehmenden eines Angebots betrachtet, sondern auch Personen einer Vergleichsgruppe, die daran nicht teilgenommen, aber ähnliche Problemlagen und Herausforderungen haben. Das ist in der Praxis oft schwierig zu realisieren. Wir arbeiten dann häufig mit der Methode der Wirkungsplausibilisierung. Wir sind dann im Austausch mit den Fachkräften und häufig auch mit den Teilnehmenden aus den Angeboten. Wir schauen uns die eingetretenen Veränderungen an und kommen dann über eine Diskussion zu einer Einschätzung, welchen Anteil hier das Angebot der Sozialen Arbeit hatte oder welche weiteren Faktoren es vielleicht auch noch gab, die diese Veränderungen beeinflusst haben.

Welche Besonderheiten der Wirkungsmessung sehen Sie bei komplexen Systemen wie den Frühen Hilfen?

Eine Besonderheit bei den Frühen Hilfen ist die Netzwerkstruktur, die immer eine große Rolle spielt und die man zusammen mit den Angeboten betrachten muss.  Man kann im konkreten Fall vielleicht feststellen, dass ein Angebot bei den Familien zwar angekommen ist, ein anderes aber zielführender wäre. Dass es Netzwerke mit einem regelmäßigen Austausch darüber gibt, wenn in weiterführende Angebote vermittelt wird, ist sicher eine Besonderheit.

Die zweite Besonderheit ist, dass die Bedarfslagen und Hilfeangebote sehr komplex sind. Eine Frage der Wirkungsforschung ist, wie man das gut berücksichtigen kann. Wir führen am Anfang immer Wirkungs-Workshops durch, um eine Verständigung und einen Austausch herbeizuführen. Wichtig ist, dass dann dort nicht nur die Leistungserbringer der Angebote sind, sondern auch Vertreter und Vertreterinnen der Kostenträger, der Kommunen. Da hat man bei den Frühen Hilfen den Vorteil, dass es durch die Netzwerkstruktur schon entsprechende Formate gibt, bei denen alle an einem Tisch sitzen.

Haben Sie ein Beispiel für die Arbeit im Workshop?

Im Projekt "Frühe Hilfen qualitätvoll gestalten" des NZFH wurde in einer Kommune der Blick darauf gelenkt, wie Übergänge zwischen Angeboten sinnvoll gestaltet werden können. Da war es zum Beispiel so, dass wir uns in einem ersten Schritt zwei Beratungsangebote herausgenommen haben, die vor Ort durchgeführt werden. Wir haben dann mit den Beteiligten sogenannte Wirkmodelle erarbeitet und geklärt, welche Wirkungen mit den Angeboten erzielt werden können, und konnten dann abgleichen, wo sich die Angebote überschneiden. Wir haben dann gemeinsam eine Idee entwickelt, wann eine Überleitung sinnvoll sein kann. Die beteiligte Kommune erarbeitet nun noch weitere Themenbereiche, die wichtig sind, um Familien dann in andere Angebote weiterleiten zu können. Das ist wichtig, um die Hilfe möglichst effektiv anzubringen und damit die Wirkung entsteht, die bei den Familien entstehen soll und die benötigt wird.

Was bringt Wirkungsorientierung für die Netzwerke Frühe Hilfen und ihre Zielgruppen?

Wirkungsorientierung hat für die Zielgruppen den Vorteil, dass eine wirkungsvoll erbrachte Hilfe gewährleistet wird. Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit profitieren die Familien von einem wirkungsorientierten Angebot.

Für das Netzwerk Frühe Hilfen hat Wirkungsorientierung aus meiner Sicht den Vorteil, dass regelmäßig eine fachliche Reflexion stattfindet. Über die Wirkungsmessung und Erfassung von Veränderungen, die bei den Zielgruppen eintreten, können wir Aussagen dazu machen, ob die Veränderung bei allen Teilnehmenden eintritt, oder ob wir Familien haben, wo das noch nicht so gut funktioniert. Dann kann man zum Bespiel auch fachliche Weiterentwicklung aufgrund der Ergebnisse anstoßen.

Ein weiterer Vorteil ist, dass wir durch das Konzept des wirkungsorientierten Monitorings mit Daten belegen können, dass ein Angebot hilfreich ist. Um Angebote zu legitimieren, kann ich mit Daten argumentieren und nicht nur mit Erfahrungswissen, das die Fachkräfte sammeln. Man kann mit Zahlen argumentieren und darlegen, zu welchen positiven Veränderungen die Angebote der Frühen Hilfen geführt haben.

Wo sehen Sie Grenzen und die größten Herausforderungen der Wirkungsanalysen in den Frühen Hilfen?

Eine Grenze bei der Wirkungserfassung in den Frühen Hilfen ist der Einbezug von Vergleichsgruppen, weil der in der Sozialen Arbeit schwierig zu organisieren ist. Ich kann keinen empirischen Wirkungsnachweis führen, wie er im Lehrbuch steht. Man muss natürlich offenlegen, wie man hier vorgegangen ist. Trotzdem bin ich über die Methode der Wirkungsplausibilisierung in der Lage, in der Praxis sehr viel sprachfähiger über den Erfolg und die Wirkung der Maßnahmen Früher Hilfen zu werden.

Eine Herausforderung ist, dass so ein Prozess immer zusätzliche Arbeit bedeutet. Man muss Prozesse so gestalten, dass der Aufwand möglichst geringgehalten wird. Dennoch entsteht ein kleiner zusätzlicher Aufwand, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Dann ist die Frage, wie man damit in Zukunft umgehen kann. Vielleicht ist es zukünftig in Einrichtungen möglich, so wie es jetzt Beauftragte für Qualitätsmanagement gibt und man die auch refinanziert bekommt, auch Wirkungsmanager zu finanzieren, die solche Prozesse dann begleiten und durchführen können.

Braucht es für Wirkungsanalysen immer externe fachliche Begleitung?

Erste Überlegungen, welche Schritte man machen und welche Wirkung man erzielen möchte, kann man in den Netzwerken auch ohne Begleitung anstellen. Das kann man im Team auf einem Flip Chart sammeln und auch ohne externe Unterstützung entwickeln. Gerade wenn es dann aber in die Wirkungsmessung geht, ist es sinnvoll, sich eine wissenschaftliche Begleitung zu holen, um sicherzustellen, dass das Instrumentarium auch erfasst, was es messen soll. Wobei man Systeme aufstellen kann, die man dann auch langfristig und im Team weiter nutzen kann, wenn die wissenschaftliche Begleitung nicht mehr verfügbar ist.

Perspektivisch wäre es sinnvoll, dass man sich dann auch auf einheitliche Fragebögen und Indikatoren verständigt. Man könnte sicher Erhebungsinstrumente für die Frühen Hilfen entwickeln, die für viele Kommunen nutzbar sind, damit nicht jedes Netzwerk das für sich ganz neu erarbeiten muss.

Im Rahmen des NZFH-Projektes "Frühe Hilfen qualitätvoll gestalten" findet auch ein Kompaktkurs statt. Da haben wir ein Ankerwirkmodell für das Angebot der längerfristig aufsuchenden Begleitung als Vorlage entwickelt. Da ist der Gedanke, dass das in Zukunft frei verfügbar sein wird und Netzwerke das als Ausgangsbasis heranziehen können. Man kann dann sehen, passt das für uns, müssen wir das an der ein oder anderen Stelle ergänzen. Man muss dann nicht mehr bei Null anfangen, sondern startet mit einer Vorlage, auf die man aufbauen kann.

Haben Sie weitere Empfehlungen?

Ich würde jedem Netzwerk Frühe Hilfen empfehlen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, weil es aus meiner Sicht fachliche Vorteile bringt, wenn man sich systematisch Gedanken macht und sich dann darüber im Klaren ist, welche Wirkung man erzielen möchte. Zum Zweiten ist es gut und sinnvoll, wenn man sich angesichts aktueller Diskussionen über knappe öffentliche Mittel und mögliche Einsparungen mit den Wirkungen seiner Angebote auseinandergesetzt hat und das dann auch in die politische Diskussion einbringen kann.

Wir wissen, dass der Prozess der Wirkungsorientierung von Fachkräften manchmal auch kritisch gesehen wird, etwa weil auch Daten erhoben werden. Aber der erste Schritt ist ja, sich der Frage zu widmen, welche Wirkungen man erzielen will. Wir bekommen oft zurückgemeldet, dass das eine gute Reflexion der bisherigen Arbeit ist und es sich auf jeden Fall lohnt, diesen Weg zu gehen.

Weitere Informationen auf fruehehilfen.de