Vertrauen ist ein wichtiger Türöffner
Seit September 2012 befindet sich in den Räumen der Kita Treptower Straße in Berlin-Neukölln das Präventionszentrum Frühe Hilfen unter Trägerschaft der tandem BTL. Dipl.-Päd. Yvonne Adler, Leiterin der Einrichtung, berichtet.
Unser Präventionszentrum Frühe Hilfen liegt mitten im Harzer Kiez im Norden von Berlin-Neukölln. Es ist eine Anlaufstelle und Treffpunkt für werdende Eltern und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern im Alter von 0 bis 4 Jahren. Hier finden sie Antworten zu allen Fragen rund um die frühe Kindheit.
Vielfältige Begegnungs- und Bildungsangebote sowie eine niedrigschwellige Beratung für Eltern zu Fragen der frühkindlichen Entwicklung, Erziehung und des Familienlebens stärken Familien von Anfang an in ihren Beziehungs-, Erziehungs-, Bildungs-, Gesundheits- und Alltagskompetenzen. Ein besonderer Schwerpunkt der Beratung liegt bei den frühen Regulationsstörungen. Hierzu zählen die sogenannten Schreibabys, Kinder mit Schlafschwierigkeiten, Problemen beim Füttern/Essen und Trennungsängsten, die Eltern oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen. Darüber hinaus können multiproblembelastete Familien längerfristig psychosozial unterstützt und bei spezifischen Fragestellungen und weitergehendem Hilfebedarf an passende Angebote der Netzwerkpartner wie andere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Beratungsstellen, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Regionaler Sozialer Dienst, niedergelassene Therapeuten/Therapeutinnen u. v. a. m. möglichst wohnortnah weitervermittelt werden. Unterstützung von Anfang an ist dabei das Motto, denn gerade in den ersten drei Lebensjahren – dies belegen Ergebnisse der Hirn-, Bindungs-, Bildungs-, Resilienz- und entwicklungspsychologischen Forschung – werden die Weichen für den weiteren Entwicklungs- und Bildungsweg eines jeden Kindes gestellt.
Frühe Hilfen und Familien in Armutslagen
Wenn diese frühe Zeit jedoch durch Armut, soziale Isolation, Krankheit oder andere belastende Faktoren geprägt ist, kann es schnell zu einer Überforderung kommen.
Armut ist ein zentraler Risikofaktor. Nationale wie internationale Studien belegen vielfach, dass sich das Aufwachsen in prekären und von Armut geprägten Lebensverhältnissen negativ auf die Gesundheit, Bildungs- und Teilhabechancen und das Aufwachsen von Kindern auswirkt. Meist treffen aber viele Risikofaktoren wie psychische Erkrankung der Eltern, beengte Wohnverhältnisse, geringe formale Bildung, Arbeitslosigkeit, Migrationshintergrund, Mangel an sozialer Unterstützung mit materieller Armut gemeinsam auf. Gerade diese Kumulation von Risikofaktoren ist es, die zu negativen Folgen für die kindliche Entwicklung führen. Im Harzer Kiez und angrenzenden Gebieten haben viele Familien mit zahlreichen dieser Belastungen zu kämpfen. In der Bezirksregion Rixdorf, zu der der Harzer Kiez zählt, hat beispielweise die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund; bei den unter 18-Jährigen liegt dieser sogar bei fast 80 %. Ebenso gehört Neukölln zu den Bezirken mit der höchsten Armutsgefährdung, Erwerbslosigkeit, Abhängigkeit von Existenzsicherungsleistungen und dem geringsten Bildungsstand (vgl. Sozialbericht Neukölln1). In unserem Planungsraum ist der Anteil an Kinderarmut, Kindern mit nicht deutscher Herkunftssprache sowie Kindern mit Sprachdefiziten besonders hoch. Ebenso weist der Neuköllner Gesundheitsbericht2 ausdrücklich darauf hin, dass Neuköllner Kinder in den jährlichen Einschulungsuntersuchungen im Berlinvergleich die ungünstigsten Werte hinsichtlich der Kitabesuchsdauer, sprachlichen und motorischen Entwicklung, Übergewicht, Zahnstatus, Impfquoten und Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zeigen. Die Lage verbessert sich allmählich, das zeigen die aktuellen Zahlen. Dies hat auch mit dem gemeinsamen Aufbau der Neuköllner Präventionskette und all ihren Elementen zu tun: von den Frühen Hilfen bis hin zum Übergang zur Grundschule. Dennoch ist es noch ein langer Weg, um allen Kindern ein gesundes Aufwachsen und Zugänge zur frühen Bildung und Förderung zu ermöglichen. Kindertagesstätten spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Aber um negative Entwicklungen zu verhindern, muss die Unterstützung der Familien vorher anfangen.
Frühe familienbezogene und -stärkende Hilfen – wie hier im Präventionszentrum Frühe Hilfen – können gute Unterstützung bieten und frühzeitig der sozialen Benachteiligung begegnen. Die Angebote sind vielfältig und reichen von Eltern-Kind-Gruppen, Babymassage, Nähcafé, einem Entspannungskurs für Mütter und einem Familiencafé bis hin zu einer spezifischen Beratung für werdende Eltern und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. Seit letztem Jahr gibt es auch für Familien mit 2- bis 5-jährigen Kindern ohne Kitaplatz im Rahmen des FuA-Projektes „Kitafit – ein guter Start in die Kita“ Gruppen- und Beratungsangebote. Auch hierbei geht es um die frühzeitige und ganzheitliche Förderung der Kinder und Stärkung der Beziehungs-, Erziehungs-, Gesundheits-, Bildungs- und Alltagskompetenzen der Eltern und um eine Entlastung der Familien.
Die Angebote richten sich grundsätzlich an alle Familien. Unsere Erfahrungen zeigen, dass wir auch Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status, hohen sozialen Belastungen, wenig sozialer Unterstützung und Migrationserfahrungen erreichen. Damit dies gut gelingt, braucht es einerseits ein gutes Hilfenetz im Kiez als auch Neukölln-weit. Die Mitarbeit in verschiedenen bezirklichen Gremien wie dem Arbeitskreis Frühprävention, dem Netzwerk der Neuköllner Familienzentren, der Netzwerkstatt Kinder Eltern Bildung und vor allem in sozialräumlichen Netzwerken ist sehr wichtig. Beispielsweise wurde in den letzten Jahren gemeinsam mit allen Akteuren das Netzwerk Harzer Schwung aufgebaut. Nun gibt es auch eine Bildungskoordinatorin für den Harzer Kiez. Man kennt sich, tauscht sich regelmäßig zu Bedarfen und Entwicklungen im Kiez aus und berät sich fachlich. Kurze Wege zwischen den einzelnen Ansprechpartnerinnen und -partnern kommen den Familien zugute. Sie können in passende Angebote weitergeleitet und teilweise begleitet werden. Mehrmals im Jahr werden darüber hinaus gemeinsame Veranstaltungen wie das Harzer Kiezfest organisiert.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Einbindung von Stadtteilmüttern und Ehrenamtlichen, um sozial zurückgezogene Familien und Familien mit Migrationshintergrund noch besser zu erreichen und Übersetzung, sowohl sprachlich als auch kulturell, zu ermöglichen. Sie werden von den Müttern als Teil der jeweiligen Community respektiert, können wertvolle Zugänge auch zu schwer erreichbaren Zielgruppen schaffen und sind damit wichtige Brückenbauer.
Darüber hinaus müssen die Angebote niedrigschwellig, lebensweltorientiert, sozialraumnah und kostenlos sein. Das Präventionszentrum an einer Kita mitten im Herzen des Harzer Kiezes anzusiedeln, war damals eine sehr gute Entscheidung. Gerade diese Kombination bietet große Chancen, Eltern frühzeitig zu erreichen. Alltagsnähe, das Vertrauensverhältnis von Eltern und Kindertagesstätte und leichte Erreichbarkeit im Kiez sind nur einige der Vorteile, Frühe Hilfen an die Kita anzubinden. Auch Kitas stärken zum Beispiel durch eine intensive Elternarbeit das elterliche Erziehungsverhalten, sind jedoch nur selten auch auf belastende Lebenslagen spezialisiert.
Der wirksamste Schlüssel für ein Gelingen unserer Arbeit im Bereich der Frühen Hilfen mit Familien in benachteiligten Lebenslagen ist aber eine kontinuierliche Beziehungsarbeit mit den Eltern und Kindern, mit den weiteren Akteuren im Kiez und Kooperationspartnern auf verschiedenen Ebenen. Beziehung schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist ein wichtiger Türöffner. Hilfreich sind hierbei Kontinuität der Mitarbeitenden, Präsenz (nicht nur im Zentrum, sondern auch im Kiez, z. B. bei gemeinsamen Veranstaltungen oder Kiezgeprächen), Offenheit für Vielfalt, Aufmerksamkeit bei armutssensiblen Themen sowie Geduld.
Das Präventionszentrum Frühe Hilfen wird gefördert durch das Bezirksamt Neukölln und Bundesstiftung Frühe Hilfen und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
1Vgl. Bezirksamt Neukölln (2016). Sozialbericht Neukölln – Zur Lage der Bevölkerung 2016, S. 37
2 Vgl. Bezirksamt Neukölln (2016). Neuköllner Gesundheitsbericht – Zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung 2016, S. 35