Auftaktveranstaltung "Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz"
Am 1. September 2009 richtete das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in Berlin die Auftaktveranstaltung zum Projekt "Aus Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz" aus. Die Präsentationen und Vorträge der Tagung stehen zum Herunterladen bereit.
143 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind aus nahezu allen der 43 am Projekt beteiligten Kommunen angereist, um sich zu einem Austausch mit dem NZFH und den Projektträgern, der Alice-Salomon-Hochschule und dem Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V., zu treffen. Neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der öffentlichen und freien Jugendhilfe nahmen auch Vertreterinnen und Vertreter aus anderen Praxisbereichen (z.B. Gesundheitswesen), der Wissenschaft und einiger Länderministerien an der Veranstaltung teil.
Begrüßung und Einführung durch das BMFSFJ und NZFH
Frau Dr. Niederfranke, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, eröffnete die Veranstaltung und betonte die Wichtigkeit der Weiterentwicklung und Umsetzung von Standards im Kinderschutz. Sie wies in ihrer Begrüßung darauf hin, dass zu den häufigsten Fehlerursachen die Missachtung des Vier-Augen-Prinzips und der Inaugenscheinnahme des Kindes sowie mangelhafte Dokumentation und Brüche in der Kommunikationskette zählen. "Aus Fehlern lernen" bedeutet, dass diesen Erkenntnissen in der Praxis in Form von verbindlichen und einheitlichen Qualitätsstandards Rechnung getragen werden muss.
Frau Prof. Dr. Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), und Frau Dr. Thiessen, stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik im Deutschen Jugendinstitut (DJI), begrüßten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Namen der beiden Trägerorganisationen des NZFH.
In Ihrer Begrüßung bedankte sich Frau Prof. Dr. Pott bei den teilnehmenden Kommunen für die Offenheit, mit der sie in diesen Prozess gestartet sind. Durch die Benennung eigener Qualitätsentwicklungserfolge und -bedarfe haben die Kommunen bereits wichtige Orientierungspunkte für den weiteren Verlauf des Projekts geliefert. Am Ende der Projektlaufzeit im November 2010 wird auf dieser Grundlage eine erste Annäherung an allgemeingültige Qualitätsstandards für den Kinderschutz in Deutschland erarbeitet werden.
Frau Dr. Thiessen wies in ihren Begrüßungsworten auf einige Besonderheiten des Projektes hin. Neben der Tatsache, dass 43 Kommunen aus zwölf Bundesländern an dem Projekt mitarbeiten werden, wurde erstmals auch ein breit angelegtes Forschungsvorhaben im Kinderschutz auf den Weg gebracht. Sie würdigte die Bereitschaft der Fachkräfte, die sich trotz knapper zeitlicher Ressourcen bereit erklärt haben an dem Projekt mitzuwirken, als einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer Fehlerkultur im Kinderschutz in Deutschland.
Vorstellung des Praxisentwicklungs- und Forschungsprojekts
Die Professoren Wolff und Flick von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, die das Projekt leiten, informierten in den ersten beiden Vorträgen über einige Grundlagen der geplanten Praxisentwicklung und Forschung.
Prof. Dr. Wolff stellte in seinem Vortrag "Die Chance dialogischer Qualitätsentwicklung und die Vision eines demokratischen Kinderschutzes" die programmatische Ausrichtung der Praxisentwicklung im Projekt dar. Das Projekt setzt sehr stark auf Partizipation und Dialog mit den unterschiedlichen am Kinderschutz beteiligten Berufsgruppen (Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheits- und Bildungswesen, Polizei, Feuerwehr, Familiengericht etc.). Eine zentrale Rolle spielt dabei, wie die Partner in den teilnehmenden Kommunen selbst ihre Situation und Entwicklungsbedarfe einschätzen, wo sie ansetzen wollen sowie was und wie sie lernen wollen.
Herr Prof. Dr. Uwe Flick gab in seinem Vortrag einen Überblick über das Forschungskonzept des Projektes. Mit verschiedenen Methoden werden die unterschiedlichen Ebenen, die im Kinderschutz eine Rolle spielen, untersucht. Anhand der Basisdatenerhebung sollen Aussagen zu den Rahmenbedingungen im Kinderschutz gewonnen werden. Durch die Dokumentenanalyse soll gezeigt werden, welche Verständnisse von Kinderschutz-, Qualitäts- und Fehlermanagementkonzepten vorliegen. Über die ethnographischen Felderkundungen soll in Erfahrung gebracht werden, wie die entwickelten Konzepte und Instrumentarien von den Beteiligten realisiert, angewandt und eingeschätzt werden und welche Probleme und Erfolge in der alltäglichen Praxis sichtbar werden. Schließlich soll anhand von Fallanalysen gezeigt werden, wie sich die zuvor genannten Punkte auf der Ebene der Fälle widerspiegeln. Die Ergebnisse können lokal, regional und überregional zur nachhaltigen Verbesserung der Kinderschutzarbeit umgesetzt werden.
Erfahrungen aus England
Prof. Nigel Parton von der University of Huddersfield wird das Projekt beratend begleiten. In seinem Vortrag stellte er unterschiedliche Erfahrungen in der Analyse von Fehlern im Kinderschutz sowie in der Praxisentwicklung in England dar. Er kritisierte dabei insbesondere, dass die dortigen Qualitätsentwicklungsbemühungen im Kinderschutz in den letzten Jahren zu einer ausufernden Datenerhebung, Speicherung und damit einhergehender "Computerisierung" der Jugendhilfe geführt haben. Dies hat zur Folge, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter nur noch sehr wenig Zeit für den persönlichen Kontakt mit den Familien haben.
Dialogphasen gemeinsam mit den Kinderschutzclustern
Anhand von Posterpräsentationen stellten sich die zwölf Kinderschutzcluster vor und bezogen sich dabei auf folgenden Fragestellungen:
- Welche Kommunen sind an dem Kinderschutz-Cluster beteiligt?
- Wer sind die Kooperationspartner im Kinderschutz in den lokalen Kinderschutzsystemen?
- Welche Qualitätsentwicklungsinteressen wollen die Kommunen im Rahmen des Projektes verfolgen?
- Womit haben die Kommunen in ihrer Kinderschutzarbeit gute Erfahrungen gemacht? Welche Erwartungen haben die Kommunen an das Projekt?
Nicht nur die Kreativität der Kommunen sondern auch die Vielfältigkeit der Landschaft im Kinderschutz in Deutschland wurde eindrücklich deutlich. Die Qualitätsentwicklungsinteressen waren jedoch in vielen Punkten sehr ähnlich. Nachfolgend einige Beispiele:
- Weiterentwicklung der vorhandenen Kinderschutzkonzepte
- Weiterentwicklung der Standards, Verfahren und AbläufenErkennen, Reflektieren und Bearbeiten von strukturellen Schwächen und Problemen
- Ausbau, Stärkung, Qualifizierung der Kooperation im Kinderschutz
- Analyse kritisch verlaufener Fälle im Sinne des "Lernens aus Fehlern"
In dieser fast zweistündigen Dialogphase gab es die Möglichkeit für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einen ersten Austausch zu kommen, offene Fragen zu klären und Absprachen zu treffen. Da fünf der Kinderschutz-Cluster länderübergreifend sind und zwischen manchen Modell- und Partnerkommunen mehrere hundert Kilometer liegen, war es für manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Kinderschutz-Clusters auch die erste Gelegenheit, sich persönlich kennen zu lernen.
Abschließende Diskussion im "Fish-Bowl"
In einer offenen Diskussion im Fish-Bowl-Format diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Abschluss der Veranstaltung gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern des NZFH und des Projektträgers Fragen, Bedenken und Wünsche rund um das Projekt. Folgende Aspekte wurden unter anderem angesprochen:
- Es gibt vielfältige Qualitätsentwicklungsbemühungen im Kinderschutz. Das besondere an diesem Projekt ist die Auseinandersetzung mit Fehlern im Kinderschutz. Dieser Ansatz sollte bei der weiteren Umsetzung des Projektes im Vordergrund stehen und nicht im allgemeinen Bemühen um Qualitätsentwicklung verwässert werden.
- Trotz knapper personeller und zeitlicher Ressourcen haben die Kommunen großes Interesse an dem Projekt. Es wäre wünschenswert, dass die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden und auch in die Politik auf Bundes- und Länderebene eingespeist werden.
- Im Rahmen des Projektes sollen auch Klientinnen und Klienten eingeladen werden. Zwar verfügt der Projektträger über vielfältige Erfahrungen damit, dennoch bestehen von Seiten der Kommunen hier noch einige Bedenken und Klärungsbedarfe, die es im Rahmen des weiteren Dialoges aufzugreifen gilt.
- Das breit angelegte, länderübergreifende Projekt, das bundesweit 43 Kommunen beteiligt, wird auch als ein Beitrag zur Entwicklung einer "Kinderschutzlobby" gesehen.