Abschlussdiskussion
Welchen Wert haben niedrigschwellige Angebote der Frühen Hilfen für geflüchtete Familien? Werden sie in ihrer Funktion unter- oder eher überschätzt? Und welche Wertschätzung erfahren Fachkräfte und ehrenamtlich Engagierte, die geflüchteten Familien alltagspraktische Unterstützung bieten? Diese und ähnliche Fragen entwickelten sich zum Schwerpunkt der Diskussion, die in Form eines "Fishbowls" geführt wurde.
"Niedrigschwellige Zugänge sollten stärker gesehen und gefördert werden", äußerte eine Teilnehmerin gleich zu Beginn. Einen großen Bedarf nach "mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Begegnung" sieht auch Mechthild Paul, Leiterin des NZFH. Sie zitierte eine Fachkraft, die Familien in einer Berliner Plattenbausiedlung betreut: "Manchmal gehen wir nur spazieren. Und dann entwickelt sich etwas. Doch wir kriegen keine Anerkennung dafür. Stattdessen heißt es: ‚Wie, Du hast doch nur Kaffee getrunken?’" Durch niedrigschwellige Angebote, erläuterte Mechthild Paul, entstünden "Raum für Begegnung, so dass sich etwas entwickeln kann. Für diese wichtige Arbeit brauchen Fachkräfte unsere Anerkennung."
Vom Druck, sich für Formen niedrigschwelliger Begegnung rechtfertigen zu müssen, berichtete auch eine andere Teilnehmende. Dabei sei es gerade das gemeinsame Tun, was Verbindung herstelle. "Begegnung entsteht in Begegnungsräumen", ergänzte eine andere Fachkraft. Wichtig sei dabei: "Tempo rausnehmen und zuhören."
Eine kritischere Position bezog eine andere Teilnehmerin und wies auf hohe Anforderungen für niedrigschwellige Kontakte hin: "Spazierengehen mit Geflüchteten erfordert, dass ich ungeheuer aufmerksam bin. Dass ich viel mitbekomme, dies integriere und auch verstehen kann." Sie betonte, dass viele Geflüchtete traumatisiert seien. Mit Bezug auf den Vortrag von Prof. Dr. Patrick Meurs erläuterte sie: "Trauma ist die Hölle. Und irgendwann bekommt man diese Hölle zu spüren." Dies könne auch bei Helfenden Gefühle der Ablehnung und Auflehnung wecken. Sich damit auseinanderzusetzen sei "schwere, integrative Arbeit".
Dass traumatisierte Menschen Struktur brauchen, betonte eine weitere Diskussionsteilnehmerin: "Niedrigschwellige Angebote sind strukturgebend." Dieser Aspekt werde auch in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wenig beachtet.
Auf die Vorteile aufsuchender Angebote machte eine Familienhebamme aufmerksam: "Wir finden Zugänge zu Familien, die anderen Akteuren so nicht möglich sind." Letztlich gehe es darum, Grenzen zu überwinden: "Grenzen, die wir in den Köpfen haben. Und auch Grenzen, die in den Systemen festgeschrieben sind." Dafür gebe es keine einfachen Lösungen oder Rezepte. Entscheidend sei: "Auf Begegnung einlassen, gegenseitig inspirieren und weitermachen."
Die Möglichkeiten Früher Hilfen und deren Grenzen thematisierte ein weiterer Beitrag: "Frühe Hilfen sind ein sehr gutes Angebot, um Menschen in ein Lotsensystem zu bringen, sie anzubinden, sie zu betreuen. Doch es ist nicht unsere Aufgabe, traumatisierte Flüchtlinge zu kurieren." An dieser Stelle sei es oft schwer, eine Grenze zu finden und zu setzen. "Wir können nicht alles leisten, was Netzwerkpartner, Migrationsdienste oder wer auch immer von uns erwarten."
Die Moderatorin, Prof. Dr. Anke Kerschgens, Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, erinnerte daran, die strukturelle Ebene nicht zu vergessen: "Unter welchen Bedingungen ist Begegnung denn überhaupt möglich?" Die Rahmenbedingungen seien tatsächlich sehr herausfordernd, betonte eine Teilnehmerin. Auch für geflüchtete Familien gebe es viele Grenzen. Doch viele Grenzen seien Aushandlungsräume. "Ich glaube, dass Grenzen nicht immer so starr sind, wie sie scheinen."
Zum Abschluss der Diskussion über die strukturelle Ebene machte NZFH-Leiterin Mechthild Paul darauf aufmerksam, dass Mandatsträger häufig nach der Wirksamkeit von Hilfsgeboten fragten und in kurzer Zeit empirische Belege forderten. "Gegen diese Erwartung müssen wir uns ein Stück weit wehren. Wir können die Wirkung einzelner Maßnahmen nicht immer so schnell nachweisen."