Workshops
Institutionsübergreifend Erfahrungen austauschen und voneinander lernen – das ist vielen Akteuren in den Frühen Hilfen ein großes Bedürfnis. In zehn moderierten Workshops setzten sich die Teilnehmenden des Fachtags nach den einleitenden Vorträgen mit jeweils spezifischen Aspekten der Situation geflüchteter Familien sowie den Möglichkeiten und Herausforderungen von Unterstützungsangeboten auseinander. Sie berichteten von verschiedenartigen Praxisansätzen und reflektierten diese gemeinsam. Außerdem diskutierten sie alternative Lösungsansätze und mögliche Wege, bestehende Hilfsangebote und Strukturen weiterzuentwickeln.
Die Workshops 1 bis 3 knüpften direkt an die Impulsvorträge des Vormittags an und vertieften deren Themen. Workshop 2 hatte zudem experimentelle Anteile und bot den Teilnehmenden die Gelegenheit, eigene Grenzen zu erleben, auszuloten und die Erlebnisse anschließend zu reflektieren.
In den Workshops 4 bis 10 lag der Fokus auf ausgewählten Projekten, Praxisbeispielen sowie besonderen Herausforderungen, die mit der Unterbringung geflüchteter Familien einhergehen. Auch ging es um Möglichkeiten und Grenzen in den Frühen Hilfen, Geflüchtete bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen zu unterstützen.
Die Workshops im Überblick
2. "Wie komme ich hier rein und dadurch? – ein interaktiver Grenzgang"
3. Konzepte von Elternschaft, Geschlecht und Familie im Kontext von Migration und Flucht
4. Geflüchtete Väter. Eine weitgehend ‚ungenutzte Ressource‘ beteiligen?
7. Familien in der Erstaufnahmeeinrichtung – Ankommen in unsicheren Räumen?
9. Die Entwicklung von Nachbarschaften in der Arbeit mit Geflüchteten
Workshop 1 – Resilienz in Zeiten von Flucht und Heimatlosigkeit. Präventive psychosoziale Betreuung von Flüchtlingsfamilien mit Kindern im ersten Jahr nach ihrer Ankunft
Patrick Meurs verdeutlichte in dem vertiefenden Workshop, welche Themen und Fragen – aus Sicht der Eltern, ihrer Kinder und deren Begleitpersonen – aus einer erziehungsunterstützenden Betreuung von Relevanz sein könnten. Anhand von Interviews, die in Erstaufnahmeeinrichtungen und Unterkünften durchgeführt wurden, wurde zudem ein Einblick in die Erziehungspraxis und Kindesentwicklung gegeben. Die entsprechenden Angebote im Rahmen der Erstaufnahmeeinrichtungen und den Unterkünften ermöglichten den Eltern und Kindern mit Fluchterfahrungen häufig Chancen, was jedoch stark von den jeweiligen altersspezifischen Entwicklungsaufgaben der Kinder abhängt. Im Rahmen des Workshops konnten Erfahrungen und Fragen von Teilnehmenden ausführlich besprochen werden, und zwar mit einem besonderen Fokus auf der Phase der Ankunft und ersten Zeit danach.
Referent:
- Prof. Dr. Patrick Meurs
Workshop 2 – "Wie komme ich hier rein und dadurch? – ein interaktiver Grenzgang"
Was ist und was passiert genau an der Grenze?
Das heutige Verständnis des Wortes "Grenze" definiere diese...
- als Schranke, an der gültige Visa vorzuzeigen sind,
- als Mauer, die den Durchgang versperrt,
- als Wand, an der man sich den Kopf stößt,
- als Barriere; die wegräumt werden muss oder
- als abschließendes Ende, an dem nichts weiter-, nur noch zurückgeht.
In dem experimentellen Workshop konnten die Teilnehmenden in einem interaktiven Grenzgang das Geschehen an und auf der Grenze gemeinsam ausloten: Was passiert in dem kleinen Moment, wenn wir an Grenzen (Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsgrenzen) stoßen?
Referentin:
- Prof. Dr. Regina Klein
Workshop 3 – Konzepte von Elternschaft, Geschlecht und Familie im Kontext von Migration und Flucht
Mithilfe eines selbstreflexiven Ansatzes konnten die Teilnehmenden des Workshops einen Einblick in die Zusammenhänge von Kultur und Mutterschaft/Elternschaft gewinnen. Im Feld der Frühen Hilfen wie auch allgemein im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe stünden normativ geprägte Vorstellungen von gelingender Elternschaft im Mittelpunkt des Alltagshandelns. Somit ergab sich die zentrale Frage des Workshops: Welchen gesellschaftlichen, biographischen und kulturellen Prägungen unterliegen unsere eigenen Handlungsmaximen? Die Teilnehmenden diskutierten dazu Detailfragen: Welche Vorstellungen von ‚Normalität‘ haben wir? Was stellen wir uns unter einer guten Familie, einer guten Mutter vor? Was ist ein gelungenes Kind? Welche Erziehungsziele und welchen Erziehungsstil präferieren wir? Wie begegnen wir anderen kulturellen Entwürfen in dem Kontext familiärer Erziehung und Sozialisation?
Referentin:
- Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden
Workshop 4 – Geflüchtete Väter. Eine weitgehend ‚ungenutzte Ressource‘ beteiligen?!
Der einleitende Impuls von Dr. Michael Tunç stellte Forschungen und Erfahrungen zum Thema der Väter mit (Flucht)Migrationserfahrungen vor und beleuchtete das Thema der praktischen Väterarbeit mit der Zielgruppe. Dabei wurden negative Stereotype über diese Väter reflektiert und Fragen der Haltungen von Fachkräften gegenüber der Zielgruppe diskutiert, um in der praktischen Arbeit auch trotz teils vorhandener Schwierigkeiten die Ressourcen der Väter wahrnehmen und einbeziehen zu können. Anschließend tauschten sich die Teilnehmenden über ihre Erfahrungen zu Herausforderungen sowie Ressourcen oder über Beispiele guter Praxis in der Arbeit mit geflüchteten Vätern aus.
Referent:
- Dr. Michael Tunç
Workshop 5 – M.A.R.I.A.M. – Starthilfe für geflüchtete Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt – ein ehrenamtlicher Begleitdienst im Rahmen des Bundesprojektes "Menschen stärken Menschen"
Mehr als 50 Ehrenamtliche des Sozialdienstes katholischer Frauen Trier begleiten seit 2015 geflüchtete Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Sie gehen beispielsweise zu Behörden- und Arztbesuchen mit und unterstützten die Familien bei der Beschaffung der Babyausstattung und darüber hinaus beim Erlernen der deutschen Sprache. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Integration der Frauen, denn gerade Schwangerschaft und Geburt binden Frauen an das häusliche Umfeld und stellen Hindernisse für Partizipation und Integration dar.
Im Workshop wurden exemplarisch Fälle dargestellt, die veranschaulichen, wie die konkrete ehrenamtliche und professionelle Arbeit aussieht. Es wurde auf die verschiedenen Einheiten des Begleitprozesses eingegangen und auf spezielle Fragestellungen wie Trauma und Gewalterfahrung, auf Frühe Hilfen, auf Konflikte (z.B. verschiedene Erwartungshaltungen von Migrantin und Begleiterin) und Grenzen. Die Teilnehmenden brachten eigene Erfahrungen ein und dachten gemeinsam über Alternativen nach.
Referierende:
- Ruth Römer-Meyer
- Hannes Schmid-Stadtfeld
Workshop 6 – ELKiS – Eltern-Kita-Sprachmittler*innen: Was braucht es für eine geregelte Sprachmittlung in Kitas?
In dem Workshop ging es in drei Schritten darum, wie eine geregelte Sprachmittlung an Kitas etabliert werden kann. Auf den dreijährigen Erfahrungen des ElKiS- (Eltern-Kita Sprachmittler*innen-) Projekts des Friedenskreis Halle e.V. stützend, ging es im ersten Schritt darum, warum genau Sprachmittlung an Kitas für Eltern und pädagogische Fachkräfte so notwendig ist.
Im zweiten Schritt wurde thematisiert, wie Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sowie pädagogische Kita-Fachkräfte fortgebildet werden könnten. Dazu wurden praktische Beispiele aus den ElKiS – Schulungen gegeben und zur Diskussion gestellt. Im dritten Schritt wurde dann konkret gesammelt, was es braucht, um Strukturen bewusst zu machen, zu ändern, und welche Ressourcen genutzt werden könnten um Kommunikation an Kitas trotz Sprachbarrieren langfristig zu verbessern.
Referentin:
- Eva Stoelzel
Workshop 7 – Familien in der Erstaufnahmeeinrichtung – Ankommen in unsicheren Räumen?
Das Leben nach der Ankunft in Deutschland ist für geflüchtete Menschen einerseits durch Hoffnung auf Schutz und Asyl, aber andererseits auch durch viele Unsicherheiten geprägt. Mögliche Traumatisierungen sowie Belastungen nach der Flucht erschweren das Ankommen in Deutschland zusätzlich. Besonders für Kinder und junge Familien können ein Leben "in der Warteschleife" und eine ständige Drohung der Rückführung sehr belastend sein.
Im Workshop wurde gemeinsam der Frage nachgegangen, was Familien und Kinder mit Fluchterfahrung für ein möglichst ‚gutes‘ Ankommen im Hier und Jetzt benötigen und wie auf ihre spezifischen Interessen und Bedürfnisse innerhalb der restriktiven Strukturen der Erstaufnahme geantwortet werden könne. Dabei richtete sich der Blick besonders auf die Bedeutung psychosozialer Versorgung von Familien und die Gestaltung sicherer Räume innerhalb der Einrichtungen. Im Fokus der Impulsvorträge stand die Frage, wie Ankommensprozesse von Familien unterstützend begleitet werden könnten und welche Angebote möglich seien, um Stabilität und Sicherheit im Alltag der Erstaufnahme zu fördern. Die sich daraus ergebenden Implikationen für die Frühen Hilfen wurden auf Grundlage der eingebrachten Fragen und Erfahrungen aus der eigenen Praxis im Workshop gemeinsam diskutiert und reflektiert.
Referentinnen:
- Nora Iranee
- Nora Hettich
Workshop 8 – Gelingende Integration mit Hilfe von STEP - Ein Elternkurs für geflüchtete Familien und Familien mit Zuwanderungshintergrund
In diesem Workshop wurden der Elternkurs STEP vorgestellt und die Teilnehmenden zum Austausch über Erfahrungen und Zukunftsvisionen eingeladen.
Mit dem Programm für Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen begleite STEP seit vielen Jahren auch Eltern mit Migrationshintergrund. Indem die Kursteilnehmenden dieses Programms auf der emotionalen Ebene erreicht werden, könnten sie in einem offenen Dialog für neue Sichtweisen sensibilisiert und für demokratische Grundgedanken gewonnen werden.
Der Ansatz basiere auf der Erkenntnis, dass alle Eltern das Beste für ihre Kinder wollen – nicht zuletzt diejenigen, die ihre Heimat verlassen haben, um ihre Kinder vor Krieg und Verfolgung zu schützen. Eltern, die ein Bleiberecht in Deutschland haben und Deutschkenntnisse in einem "B1-Sprachkurs" erworben haben, könnten im Rahmen des Projekts praktische Handlungsweisen lernen, die ihnen Sicherheit für das Miteinander im deutschen soziokulturellen Raum geben. Gleichzeitig fühlten sie sich in ihrer Individualität als Menschen und in ihrer kulturellen Identität akzeptiert. Dafür sorgten die hochqualifizierten Kursleiterinnen und Kursleiter, die durch Wertschätzung, Respekt und Klarheit, Orientierung gäben, Brücken zwischen den Kulturen bauten und traumatisierte Menschen stabilisierend und ressourcenorientiert begleiten könnten.
Referentinnen:
- Roxana Petcov
- Christa Hübner
- Ulrike Bergner Schmitt
Workshop 9 – Die Entwicklung von Nachbarschaften in der Arbeit mit Geflüchteten
Das Thema Flucht und Trauma rückt immer mehr in den Fokus und führt zu einer Verunsicherung in verschiedenen Berufsfeldern, so auch in den Frühen Hilfen. Tatsächlich leiden laut Studien 40% der in Deutschland ankommenden Geflüchteten an Traumafolgestörungen wie PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung). Mit einer Sensibilisierung für das Thema kann unter Fachkräften und Ehrenamtlichen leicht eine Überforderung einhergehen, die neue Strategien im Umgang mit Ressourcen und eigenen Grenzen erfordert. Laut Gesetz haben traumatisierte Geflüchtete Anspruch auf eine Psychotherapie, doch die Wartelisten sind lang.
In diesem Workshop beschäftigten sich die Teilnehmenden mit der Möglichkeit, Nachbarschaften zu entwickeln. In einer funktionierenden Nachbarschaft könnten wir Bedürfnisse und Grenzen erkennen, nach Hilfe fragen und auch mal Arbeit aufteilen. Wie können Konzepte von Solidarität, Demokratie und Teilhabe, die ansonsten wie politische Schlagwörter verhandelt werden, auf den Arbeitsalltag übertragen werden? Wie nehmen Fachkräfte Geflüchtete als Mitgestaltende von "Hilfen" wahr? Die Teilnehmenden schauten eigene Strukturen und Projekte an und reflektierten auch dabei, wie sie sich selber verorten.
Referentin:
- Jacqueline Aslan
Workshop 10 – Unterstützung von geflüchteten Familien – komplexe Herausforderungen für die Frühen Hilfen. Ein Praxisbeispiel aus Hamburg
"ADEBAR - Beratung und Begleitung von Schwangeren und Familien" unterstützt seit 2001 Familien in schwierigen Lebenssituationen in einem interdisziplinären Team aus Familien-hebammen und Sozialpädagoginnen. Die komplexen Herausforderungen der Frühen Hilfen stellen sich auf verschiedenen Ebenen:
- Individuell: Wie gelingt es in der Alltagspraxis einerseits tatsächliche Besonderheiten zu erfassen und andererseits vermeintliche Differenzen, die sich in Stereotypen manifestieren, über Bord zu schmeißen?
- Auf der Einrichtungsebene: Wie müssen wir uns verändern um unsere Angebote inklusiver zu gestalten? Wie gelingt es, unsere Einrichtungen noch weiter auszubauen als "sichere Orte" in großer Unsicherheit? Welche neuen Kooperationen, Fortbildungsbedarfe etc. werden erkennbar?
- Auf der strukturellen Ebene: Wie gehen wir um mit den Rahmenbedingungen der Unterbringung und Versorgung, mit den strukturellen Missständen, auf die wir stoßen? Wie können wir uns fachpolitisch einmischen und Veränderungen zum Positiven hin anstoßen?
Im Rahmen des Workshops wurden die Erfahrungen, Ideen und theoretischen Überlegungen des Projekts vorgestellt und im Gespräch mit den Teilnehmenden diskutiert.
Referentin:
- Pia Peddinghaus