Die Kompetenzen der Frühförderung in den Frühen Hilfen
Prof. Dr. Hans Weiß (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg-Reutlingen) führte aus, wie wichtig es sei, die Frühförderung und die Frühen Hilfen zusammenzuführen und durch einen interdisziplinären und interinstitutionellen Austausch Missverständnisse zu überwinden sowie Begriffe klarer zu bestimmen. Er verwies darauf, dass der Begriff der Frühen Hilfen schon zu Beginn der Frühförderung in den 1970er Jahren verwendet wurde. Seiner Meinung nach wurden jedoch die lange Tradition und Erfahrung der Frühförderung in der Arbeit mit Familien bisher kaum in der aktuellen Diskussion um Frühe Hilfen und präventiven Kinderschutz wahrgenommen. Dies sei zum einen auf die sozialrechtliche Verankerung der Frühförderung im SGB IX und die damit einhergehenden unterschiedlichen ministeriellen Zuordnungen von Frühförderung und Frühen Hilfen zurückzuführen. Zum anderen liege dies – im Zusammenhang mit dem Kostendruck – an einer restriktiven Auslegung des Begriffs "drohende Behinderung", welche eine medizinisch gefasste Beeinträchtigung "am Kind" (und nicht auch Entwicklungsrisiken im Kind-Umfeld-System) zur Voraussetzung einer Behandlung macht.
Hans Weiß hob die zunehmende, aber oft unterschätzte Bedeutung der interdisziplinären Frühförderung auch und gerade für Kinder mit psychosozialen Risiken und deren Familien hervor und belegte dies anhand unterschiedlicher Studien. Er zeigte auf, dass die konzeptionelle Entwicklung der Frühförderung in verschiedenen Phasen verlief: von der kindzentrierten, über die familien- bzw. umfeldzentrierte hin zur systembezogenen Frühförderung.
Gegenwärtig versteht sich die Frühförderung als systembezogener Ansatz, der die Gesamtfamilie und ihre sozialen Ressourcen in den Blick nimmt. Die fachlichen Kriterien heutiger Frühförderung sind: eine Orientierung am Kind und seiner Familie, die kooperative Arbeit mit den Eltern, die Beachtung einer doppelten reflexiven Distanz (gegenüber den eigenen Werten und Normen und gegenüber jenen der Familie), der Einbezug der Lebenswelt des Kindes und seiner Bezugs- bzw. Ankerpersonen sowie die Fokussierung auf Interaktion und familiale Beziehungen.
Der in der Frühförderung von Anfang an verwendete Begriff der "Entwicklungsgefährdung" könne – so Hans Weiß – ein Bindeglied zwischen der Perspektive der Frühförderung und der Kinderschutzperspektive darstellen. Er werde derzeit allerdings auch im Bereich der Frühförderung sehr restriktiv verwendet, so dass Kindern u. U. keine adäquate präventive Förderung oder Hilfe angeboten werden kann. Prof. Dr. Hans Weiß verstand Frühe Hilfen im umfassenden Sinne als präventiven Kinderschutz und plädierte dafür, dass in den Frühen Hilfen die diagnostischen Kompetenzen der Frühförderung sowie die Erfahrung der Frühförderung mit interdisziplinärer regionaler Vernetzung mehr genutzt werden sollten. Zudem sprach er sich für ein abgestimmtes Förder- und Hilfesystem aus, orientiert an den vielfältigen Bedarfen von Kindern und Eltern, sowie für eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen beiden Systemen.