Eingliederungs- und Jugendhilfe sollten sich aufeinander zu bewegen
Wilfried Wagner-Stolp (Bundesverband Lebenshilfe) referierte zum Thema "Leistungen der Eingliederungshilfe für alle Kinder mit Behinderung auf der Grundlage des Jugendhilferechts? Zur Positionsbestimmung in der Lebenshilfe." Sein Vortrag war geleitet von drei Fragestellungen: Welche Handlungskonsequenzen werden im Rechtsbereich diskutiert? Welcher Handlungsrahmen ist der Lebenshilfe wichtig? Wie lauten die Eckpunkte und Forderungen der Lebenshilfe?
Die Handlungskonsequenzen, die im Rechtsbereich diskutiert werden, stellte Wilfried Wagner-Stolp anhand drei öffentlicher Papiere vor: der Stellungnahme der Bundesregierung zum 13. Kinder- und Jugendbericht, der Beschlüsse der 86. Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASKM) und Auszügen des aktuellen Koalitionsvertrags. Bezüglich seiner ersten Frage griff Wilfried Wagner-Stolp die von Dr. Christian Lüders vorgestellte "große Lösung" auf. Die große Koalition bis 2009 habe diese Option und damit eine Verlagerung der Eingliederungs- in die Jugendhilfe favorisiert. Neben der Bundesregierung hatte sich auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) mit diesem Themenfeld beschäftigt. Diese verständigte sich darauf, dass Hilfen für Kinder und Jugendliche möglichst aus einer Hand geleistet werden sollten. Schnittstellenprobleme seien jedoch bislang ungelöst geblieben. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz beschäftige sich in einer Arbeitsgruppe wie erzieherische und behinderungsbedingte Hilfen nahtlos ineinander übergehen könnten. Im Weiteren werde auch im Koalitionsvertrag darauf hingewiesen, dass Schnittstellenproblem zwischen Frühen Hilfen und Hilfen für junge Menschen mit Behinderung gelöst werden sollten.
Neben den Positionen der politischen Akteurinnen und Akteure ist für die Lebenshilfe selbst die Behindertenrechtskonvention der Gestaltungsrahmen für politische bzw. rechtliche Vorhaben, hier insbesondere die Artikel 4, 7 und 23. Darüber hinaus bietet das im Entwurfsstadium befindliche neue Grundsatzprogramm der Lebenshilfe Orientierung – insbesondere die Grundlagen für die Teilhabe in der frühen Kindheit und Unterstützung werdender Eltern, die ein behindertes Kind erwarten, sowie eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern und eine hohe Flexibilität und Interdisziplinarität und Vernetzung der Angebote vor Ort. Es sollten Schonräume – im Sinne besonderer Sorgfalt – vorhanden sein und keine "Sonderbereiche" für Kinder und Jugendliche mit Behinderung.
Folgendes sind Eckpunkte der Lebenshilfe hinsichtlich einer "großen Lösung": Es sollten eindeutige neue Rechtsvorgaben gemacht werden und keine unbestimmten Rechtsbegriffe eingeführt werden, es sollte das fachliche Wissen beider Bereiche (Frühförderung und Früher Hilfen) zusammengeführt werden, die Jugendhilfe sei besser auszustatten bzw. entsprechend aufzuwerten. Behinderte Kinder und Jugendlichen sollten nicht additiv an die Jugendhilfe angegliedert werden, sondern sie seien als Kernpersonenkreis zu sehen. Wilfried Wagner-Stolp verwies auf die Gefahr der Ausgrenzung durch Inklusionspolitik. Begriffe wie etwa Community Building und Empowerment bezögen sich grundsätzlich auch auf Menschen mit Behinderung und zielten auf Inklusion, würden jedoch mit exkludierenden Maßnahmen umgesetzt, um Kosteneinsparungen zu erzielen. Wilfried Wagner-Stolp plädierte dafür, dass sich die beiden Hilfesysteme Jugendhilfe und Behindertenhilfe in der lokalen Praxis aufeinander zu bewegen sollten, um voneinander zu profitieren und passgenaue Unterstützung anbieten zu können.