Was ist das Relevanteste, um psychisch kranken Eltern und ihren Kindern zu helfen?
Die von Dr. Jörg Weidenhammer moderierte Eingangsdiskussion ging der Frage nach: Wie können wir psychisch kranken Eltern und ihren Kindern helfen - Was ist das Relevanteste und was braucht es, damit das Leben für sie leichter wird?
Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Die Teilnahme der beiden Ministerien BMFSFJ und BMG sowie die große Resonanz, die die Tagung bei den Mitwirkenden und Teilnehmenden aus unterschiedlichen Professionen findet, unterstrich nach Ansicht von Dr. Thaiss bereits die Relevanz des Themas. Das Thema lebt durch die ihm entgegengebrachte politische Aufmerksamkeit, das Interesse für die zu treffenden Regelungen wie Kooperationen sowie die Rückmeldungen und den Input der mit den Familien tätigen kommunalen Akteure. Sie sind die eigentlichen Experten.
Die Versorgung von psychisch kranken Eltern und deren Kinder ist ein komplexes Problem mit individuellen Fragestellungen und Bedarfen. Eine in der Regel chronische psychische Erkrankung erfordert zumeist eine langfristige ambulante Behandlung. Allerdings kann die Erkrankung auch akute Spitzen aufweisen, die in der Regel sehr schnelle Reaktionen und eine klinische Behandlung nötig machen, so die Einschätzung von Dr. Heidrun Thaiss. Die Kinder wiederum benötigen in einer sehr sensiblen, vulnerablen Entwicklungsphase sowohl eine alltägliche praktische Versorgung als auch Anregungen für ihre Entwicklung und eine feste, verlässliche Bindung. Dazu kommen weitere Anforderungen, denen sich die Familien gegenüber sehen: der Umgang mit finanziellen Problemen, Langzeitarbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder auch soziale Isolation. All diese komplexen Probleme sind nicht in einem Sozialgesetzbuch bzw. durch eine Leistung abgebildet. Dies stellt die besondere Herausforderung dar.
Die Frühen Hilfen sind mittlerweile systemisch etabliert und arbeiten hoch professionell, wie Befragungen der Hebammen zeigen. Frühe Hilfen können in der primären Prävention - bevor überhaupt Probleme entstehen - einen großen Beitrag zum gesunden Aufwachsen der Kinder von psychisch kranken Eltern leisten. Die Frühen Hilfen mit ihrem Kontakt zu den Familien und ihrem Wissen um mögliche Problemlagen sind in der Lage, ggf. ein Problem frühzeitig zu erkennen. Aber auch Frühe Hilfen stoßen an ihre Grenzen und müssen in der Sekundär- und Tertiärprävention in andere Systeme weiter verweisen. Die Aufgabe liegt darin, die Schnittstellen und Übergänge zu definieren. Es geht darum Brüche zwischen den zu betreuenden Personen und ihren Familien aber auch zwischen den unterschiedlichen Professionen, zu vermeiden, die an der Hilfe beteiligt sind. Hierzu bedarf es klarer Regelungen und Absprachen.
Prof. Dr. Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI), München
Die Begleitforschung des NZFH bestätigt die Kumulation der Problemlagen in den Familien, unterstrich Prof. Dr. Sabine Walper. Es ist nicht nur die belastende psychische Erkrankung der Eltern. Hinzu kommen vielfältige schwierige Lebensbedingungen. Oft entsteht gerade bei psychisch Kranken die Schwangerschaft ungewollt oder ungeplant. Die Partnerschaft bleibt häufig nicht bestehen.
Die Alleinerziehenden müssen mit finanziellen Schwierigkeiten klarkommen. Die Heterogenität der Lebenslagen erfordert eine breit gefächerte Palette an Unterstützungsleistungen, die den besonderen Bedarfen der Erkrankung gerecht wird aber auch die Ressourcen der Familien mit in den Blick nimmt. Großeltern können zum Beispiel eine wichtige Rolle spielen, sofern sie verfügbar sind.
Es gibt aber auch Gruppen, in denen die Ressourcenlage sehr schwach ist und in denen alle Problemlagen zusammenkommen, zum Beispiel bei ganz jungen Müttern. Hier besteht in der Praxis die besondere Anforderung darin, Schnittstellenarbeit zu leisten, um die verschiedenen Probleme angehen und lösen zu können.
Angesichts der Langfristigkeit der Probleme, braucht es frühzeitige, gute Interventionen, die die Eltern angemessen unterstützen und die Kinder mit in den Blick nehmen; und die vor allem auch das Potenzial nutzen, die die Frühen Hilfen entwickelt haben, mit einer wirklich guten Netzwerkarbeit und vorbildlichen Lösungen für eine interdisziplinäre Verständigung. Die besondere Herausforderung liegt darin, die in den Frühen Hilfen entwickelten Paradigmen so über Präventionsketten weiterzutragen, damit sie Familien über einen längeren Zeitraum kontinuierlich unterstützend begleiten.
Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm
Von den im Universitätsklinikum Ulm behandelten Patienten hat ungefähr die Hälfte ein Elternteil mit psychischen Störungen oder einer Suchterkrankung, betonte Prof Dr. Jörg M. Fegert. Die klinische Arbeit sieht damit die Folgen eines nicht früh erfolgten Hilfeangebotes. Das Gesundheitswesen verzeichnet jedes Jahr einen Anstieg in der kinder- und jugendpsychotherapeutischen stationären Behandlung. Als engagierter Psychiater liegt die konkrete fachliche Herausforderung darin, bessere Hilfen frühzeitiger anzubieten.
Die frühen Belastungen verursachen jedes Jahr erhebliche Folgekosten im Gesundheits- und Sozialwesen. Bei einer vorsichtigen Schätzung liegen wir ungefähr bei 11 Milliarden Euro pro Jahr. Das heißt, jeder in Deutschland Lebende gibt umgerechnet für die Folgekosten zwischen 130 und 150 Euro im Jahr aus. Diese Ausgaben führen zu politischen Forderungen, die am Vorabend NZFH und Universitätsklinikum Ulm in einem Parlamentarischen Abend, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vorgetragen haben. Hiermit ist die Hoffnung verbunden, dass sich auch in zukünftigen Koalitionsverträgen, Stichworte wie Frühe Hilfen bzw. Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern finden.
Erfreulich ist, dass sich in dieser Legislaturperiode sehr viel getan hat. So fördert das Bundesforschungsministerium zum ersten Mal sowohl in der Gesundheits- als auch in der Bildungsforschung Projekte, um Grundlagenwissen in diesem Bereich zu erhalten. Die höchste Priorität gehört für Prof. Dr. Jörg M. Fegert aber der Frage, was machen wir in der Praxis? Und werden die möglichen Dinge heute schon eingelöst und wie kreativ werden sie umgesetzt? Zum Beispiel bleibt festzustellen, dass auch in gut vernetzten Netzwerken immer wieder Gruppen fehlen, die sich in eigenen Bereichen vernetzen. Hier lässt sich vor Ort noch vieles verändern. Zudem zeigt sich, dass eine gemeinsame, verständliche, interdisziplinäre Sprache zu entwickeln und zu vereinbaren ist.