"Mit den Eltern zusammen arbeiten - aber wie?" Ergebnisse einer Fachtagung
Rund 100 Fachkräfte aus dem Gesundheitsbereich und der Kinder- und Jugendhilfe nahmen an der Tagung "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder. Mit den Eltern zusammen arbeiten – aber wie?" teil, die das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in Kooperation mit der Evangelischen Akademie in Tutzing veranstaltet hat. Die Tagungsbeiträge stehen als PDF-Dokumente zur Verfügung und können heruntergeladen werden.
Im Mittelpunkt der vom 18. bis 20. April in Tutzing veranstalteten Tagung stand die Frage, wie es besser als bisher gelingen kann Eltern, die mit der Versorgung und Erziehung ihrer Säuglinge und Kleinkinder überfordert sind, rechtzeitig zu erreichen und Hilfen anzubieten, die auch akzeptiert werden. Denn die Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung sowie vor Kontrolle kann gerade die Familien, die Hilfe besonders nötig haben, von der Inanspruchnahme geeigneter Angebote abhalten.
Das Gesundheitssystem und die Kinder- und Jugendhilfe halten eine Vielzahl von Angeboten für (werdende) Eltern und Familien in belasteten Lebenssituationen bereit. Zur Verbesserung des Kinderschutzes sollen die einzelnen Angebote und Leistungen besser als bisher miteinander verknüpft werden. Dieses Ziel ist im Aktionsprogramm des Bundes zu Frühen Hilfen festgeschrieben. Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, dessen Aufgaben und Handlungsspektrum Mechthild Paul (NZFH Köln) zu Beginn vorstellte, unterstützt diesen Prozess u.a. auch durch die Veranstaltung der Tagung in der Evangelischen Akademie.
Warum "High Tech" um "High Touch" ergänzt werden muss
Im Eröffnungsvortrag beleuchtete Prof. Beate Schücking von der Universität Osnabrück (Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des NZFH und Leiterin des Projekts "Familienhebammen: Frühe Unterstützung - frühe Stärkung?") einzelne Leistungen des medizinischen Versorgungssystems. Verbesserungsbedarf sieht sie vor allem bei hoch technisierten Untersuchungen etwa in der Schwangerschaft, bei denen die menschliche Zuwendung häufig zu kurz kommt: Neben High Tech – so ihr Plädoyer – braucht es High Touch!
Welche Angebote und Maßnahmen die Jugendhilfe zur Unterstützung von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern bietet, darüber informierte Alexandra Sann (NZFH/DJI München). In ihrem Vortrag betonte sie den gesetzlichen Auftrag der Jugendhilfe, für positive Lebens- und Entwicklungsbedingungen für Kinder Sorge zu tragen, die Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen sowie den Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung zu gewährleisten. Entsprechend reichen die Leistungen der Jugendhilfe von der allgemeinen Förderung von Kindern sowie Beratung und Unterstützung der Eltern über Hilfen zur Erziehung bis hin zu Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung.
Hoffnung als Voraussetzung für die Annahme von Hilfe
Ob die Hilfe-Angebote von den Eltern angenommen werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Eine entscheidende Einflussgröße brachte Dr. Marie-Luise Conen (Context-Institut Berlin) den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung aus der von ihr verfolgten systemischen Perspektive nahe: "Hilfe anzunehmen setzt voraus, die Hoffnung zu haben, dass Hilfe positive Veränderungen mit sich bringt". Aus ihrer Erfahrung der therapeutischen Arbeit mit Familien, denen Hilfeleistungen auferlegt wurden und die aus diesem Grund oft nur schwer zur Mitarbeit zu motivieren sind, schilderte sie anschaulich, dass es vor allem darauf ankommt, das Bedürfnis nach Veränderung zu wecken.
Eine gute Methode, Veränderungen auszulösen, bietet offensichtlich videogestützte Arbeit. Dies illustrierte Prof. Luise Behringer (Kath. Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern) am Beispiel der Entwicklungspsychologischen Beratung junger Mütter, die vom Jugendamt zur Beratung geschickt werden.
Verschiedene Arbeitsansätze Früher Hilfen
Neben diesem Ansatz bot die Tagung in sieben weiteren Foren Einblicke in unterschiedliche Arbeitsansätze Früher Hilfen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Angeboten für den Zeitpunkt rund um die Geburt eines Kindes.
- Eva Schneider (Mainz) fächerte die Rolle der Hebammen in Familien und im Hilfesystem auf.
- Hendrik Karpinski (Kinderklinikum Niederlausitz) berichtete über den Einsatz von ehrenamtlich tätigen Familienpatinnen und -paten. Das in der Niederlausitz praktizierte Patenschafts-Modell basiert auf einer intensiven Schulung der Laien, die sowohl vor Beginn als auch im Laufe ihrer Tätigkeit von einem multidisziplinär zusammengesetzten Team aus der regionalen Hilfestruktur betreut und fachlich begleitet werden.
- Auli Brass (Netzwerk für natürliche Geburt, München) stellte ihr Konzept der sozialpädagogischen Familienhilfe für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern vor.
- Dass auch Kinderkrankenschwestern einen wesentlichen Beitrag zu den Frühen Hilfen leisten, veranschaulichte Birgit Weyergraf (Interessengemeinschaft freiberuflich und/oder präventiv tätiger Kinderkrankenschwestern, Tönisvorst) in der Beschreibung ihrer spezifischen Arbeit, die fundierte Kenntnisse der gesundheitlichen Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern voraussetzt.
- Heike Grünzel (Beratungszentrum des Diakonischen Werkes, Lippe) brachte Erfahrungen aus der Schwangerenberatung für Frauen in sozialen Notlagen ein.
- Dr. Margrit E. Kaufmann (Universität Bremen) veranschaulichte, wie Elternarbeit mit Familien mit Migrationshintergrund aussehen kann.
- Roswitha Schneider (DRK Bremen) beschrieb Erfahrungen mit dem Ansatz der frühkindlichen Förderung in bildungsfernen Familien.
Schwierige Aufgabe: Die richtige Einschätzung von Risikofaktoren
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem umfassenden Präventionsanspruch Früher Hilfen bildete den Abschluss der Tagung, die damit neben einem Einblick in unterschiedliche Arbeitsansätze auch ein Forum für die Reflexion des Diskurses über Frühe Hilfen bot. Die Hoffnung, Kinder durch ein frühzeitiges Erkennen möglicher Risiken besser als bisher vor Vernachlässigung und Misshandlung schützen zu können, führt mitunter zu einer Verengung des Blicks auf Indikatoren zur Einschätzung von Risikolagen, zur Definition von Familien als "Risikofamilien".
Elisabeth Helming (DJI München) warnte in ihrem Vortrag über Paradoxien des Präventionsanspruchs im Bereich Früher Hilfen vor einem "Vokabular der Respektlosigkeit". Der Fokussierung auf Risiken hielt sie so grundlegende Fragen entgegen wie: Was macht ein gutes Leben für Eltern und Kinder aus, und wie steht es, neben der persönlichen Verantwortung der Eltern für ihre Kinder, um die öffentliche Verantwortung für gute Lebensbedingungen für Familien? Und, dienen Frühe Hilfen nicht oft auch dazu, normative Vorstellungen von Familie und Erziehung zu transportieren?
Prof. Heiner Keupp (Universität München) spannte in seinem Kommentar den Bogen noch etwas weiter, indem er zu bedenken gab, dass sich aktuell offensichtlich eine "angstbestimmte Sicherheitskultur" ausbreitet mit einem neuen Typus sozialer Kontrolle, eingebettet in Formen flächendeckender Intervention und Verdachtsdiagnostik. An diesen durchaus kritisch zu sehenden Entwicklungen wird andererseits der hohe Handlungsbedarf im Feld Früher Hilfen deutlich, auf den sowohl die Fachkräfte als auch die politisch Verantwortlichen vor Ort jeweils zu reagieren haben.
Handlungssicherheit und Stärkung der öffentlichen Infrastruktur
Dr. Heidemarie Rose (Oberste Landesjugendbehörde Bremen) schilderte in ihrem Kommentar eindringlich den politischen Handlungsdruck, der sich aus Krisenfällen im Kinderschutz ergeben kann. Unter diesem Druck kann es dann auch zu Entscheidungen kommen wie im Bremer Senat, binnen 48 Stunden einen Gesetzentwurf zur Kindeswohlsicherung vorzulegen. Mit solchen Regelungen soll Handlungssicherheit geschaffen werden. Und Handlungssicherheit ist für alle Beteiligten unabdingbar es, darüber waren sich die Referentinnen und Referenten der Tagung einig. Entsprechend ging es in der Abschlussdiskussion vor allem um die dabei einzuschlagende Richtung. Es braucht vor allem eine Stärkung der öffentlichen Infrastruktur, um Orte "wohlwollender Gesellung" (Rose) für Eltern und Kinder zu schaffen. Zudem sollten in den Debatten über Frühe Hilfen ethische Fragen, Fragen nach sozialer Gerechtigkeit nicht ausgeklammert werden.