Frühe Hilfen beim Kongress Armut und Gesundheit 2021 – Themenschwerpunkte: Corona-Pandemie und Digitalisierung
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat auch beim diesjährigen Public-Health-Kongress Armut und Gesundheit Veranstaltungen zum Themenschwerpunkt Frühe Hilfen angeboten. Im Fokus standen dabei insbesondere die Herausforderungen der Corona-Pandemie und der Digitalisierung in den Frühen Hilfen. Erstmals in virtueller Form hat der Kongress vom 16. bis 18. März 2021 unter dem Thema "Aus der Krise zu Health in All Policies" stattgefunden.
Zwischen 60 und 150 Personen nahmen an den Veranstaltungen zum Themenschwerpunkt Frühe Hilfen teil. Sie kamen auch in dem neuen Kongressformat zu dem gewünschten Austausch zu verschiedenen Fragestellungen, zum Beispiel: Was lernen wir für die Frühen Hilfen aus der Corona-Krise? Welche Herausforderungen müssen bewältigt werden? Welche Gelingensbedingungen sind identifizierbar? Mit welchen Kommunikationsformen erreicht man Familien und Fachkräfte? Welche Angebotsformate und Ideen können Netzwerke auch zukünftig weiter nutzen?
Hintergrund
Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie fand die Arbeit in den Frühen Hilfen in erster Linie analog statt: Der persönliche Kontakt mit Familien und in den Netzwerken war die Regel.
Die Verbreitung des neuartigen Virus SARS-CoV-2 seit Anfang des Jahres 2020 und die Kontaktbeschränkungen als Maßnahmen zum Infektionsschutz haben das Leben von Familien wie von Fachkräften grundlegend verändert. Für Fachkräfte ergaben sich damit viele Herausforderungen: Der Bedarf an Beratung und Austausch war hoch. Insbesondere in Familien in belastenden Lebenslagen stieg der Unterstützungsbedarf, die Zugänge zu Familien waren aber teilweise schwierig. Fachkräfte mussten mit neuen Beratungsmodellen reagieren und mit Mehrbelastungen und Stress umgehen, da sie auch selbst in ihrer Lebenssituation betroffen waren.
Zugleich haben Online-Beratung und -Fortbildung in der digitalisierten Welt in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung wurde durch die Maßnahmen während der Corona-Pandemie beschleunigt. Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikationsformen gilt es, klug und angemessen zu nutzen, um mit Familien in Verbindung zu bleiben, neue Routinen auszubilden und letztlich das Spektrum an Kontaktmöglichkeiten voll ausnutzen zu können – nicht nur in Krisenzeiten.
Veranstaltungsformate
In den Veranstaltungen zum Schwerpunkt Frühe Hilfen stellten Expertinnen und Experten Forschungs- und insbesondere Projektergebnisse aus der Praxis als Grundlage für anschließende Diskussionen vor.
Die Teilnehmenden konnten sich auf unterschiedliche Weise einbringen: über einen Chat, aus dem die Moderierenden einzelne Aspekte für die Diskussion mit den Referierenden auswählten, oder über den direkten Austausch zwischen den Referierenden und Teilnehmenden, die für ihre Fragen, Anregungen und Beiträge zugeschaltet und damit "sicht- und/oder hörbar" wurden. Moderiert wurden die Veranstaltungen zum Themenschwerpunkt Frühe Hilfen von Referentinnen und Referenten des NZFH.
Frühe Hilfen – Corona-Krise
Eröffnet und moderiert von Mechthild Paul, Leiterin des NZFH, und Jörg Backes blickten in der Auftaktveranstaltung drei Expertinnen aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Frühe Hilfen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und gaben mit Analyse-Ergebnissen Impulse für den anschließenden Austausch:
- Ilona Renner, NZFH, BZgA, stellte Erkenntnisse aus einer NZFH-Studie sowie der COSMO-Studie vor zur Situation von Familien und Fachkräften in den Frühen Hilfen im Zusammenhang mit Maßnahmen und Beschränkungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie.
- Dr. Antje Richter-Kornweitz, Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., setzte sich auf der Grundlage einer umfassenden Recherche und Analyse kritisch damit auseinander, wie die Kinder-, Jugend- und Familienperspektive während der Corona-Pandemie bei Entscheidungen und Maßnahmen berücksichtigt wurde.
- Prof. Dr. Ute Thyen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, skizzierte, inwieweit es gelungen ist, den Health-in-All-Policies-Ansatz während der Corona-Pandemie umzusetzen. Sie orientierte sich dabei an den Public-Health-Aufgaben mit Blick auf die Frühen Hilfen und die Förderung der familiären Gesundheit.
Angebote für Eltern in Kommunen und Netzwerken
Angebotsformate und Ideen, die während der Corona-Zeit entwickelt wurden und sich bewährt haben, standen im Fokus der folgenden Veranstaltung, die von Astrid Königstein und Rebecca Maier moderiert wurde. Drei Beispiele aus der Praxis zeigten, wie Netzwerke Frühe Hilfen, Kommunen und Träger Eltern mit angepassten und neuen Formaten versucht haben, Eltern trotz Kontaktbeschränkungen zu erreichen. Die Referentinnen berichteten auch über Herausforderungen und Bedarfe seitens der Netzwerke und Kommunen:
- Ina Woelk, Abteilung Jugend und Familienförderung der Stadt Gelsenkirchen, stellte das Corona-bedingt bereits früh angepasste Konzept des Familienbüros vor. Als zentrale Anlaufstelle für Familien ist das Familienbüro ein Baustein der Frühen Hilfen und Familienförderung in Gelsenkirchen.
- Hannah Beck, Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, berichtete über ein neu entwickeltes Online-Angebot der Elternbildung mit kostenlosen Online-Seminaren, das über die aktuelle Pandemie-Situation hinaus im Landkreis etabliert werden soll.
- Luise Springer, Deutsches Rotes Kreuz e. V., sprach über Entwicklungen und Erfahrungen mit der neuen Plattform des DRK, auf der Kurse der Kreisverbände zentral angeboten werden und Eltern in Vorbereitung und Umsetzung der Plattform einbezogen wurden.
Kommunikationsformen in der Elternberatung
Wie digitale Beratungsformen in dem weiten Arbeitsfeld der Frühen Hilfen integriert werden können, stand im Blickpunkt des Fachforums, das Gisela Hartmann-Kötting und Till Hoffmann moderierten. Vier Expertinnen und Experten berichteten von ihren Erfahrungen mit verschiedenen Beratungsformen, die während der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen haben, sowie über Grundlagen zum Datenschutz in der digitalen Beratung in den Frühen Hilfen:
- Rainer Schütz, Nummer gegen Kummer e. V., berichtete von Möglichkeiten und Grenzen der telefonischen Beratung und den Erfahrungen des bundesweiten Angebotes der "Nummer gegen Kummer".
- Jana Rakel, Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), stellte das Beratungsangebot der bke vor und erläuterte insbesondere die Vorteile der schriftlichen Beratung per E-Mail oder per Chat.
- Stephanie Götte, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF), fasste zusammen, welche datenschutzrechtlichen Aspekte in den Frühen Hilfen zu beachten sind und ging dabei auch auf Besonderheiten der digitalen Beratung ein.
- Dr. Joachim Wenzel, ifs – Institut für Systemische Familientherapie, Supervision und Organisationsentwicklung, blickte auf die Vorteile des "Blended Counseling", einer Kommunikationsform, die Online-Beratung und Präsenzberatung bewusst verknüpft.
Digitale Lernformate für Fachkräfte
Über digitale Lernformate in der Qualifizierung von Fachkräften in den Frühen Hilfen tauschten sich die Teilnehmenden in einer weiteren Veranstaltung aus. Zwei Expertinnen schilderten dazu ihre Erfahrungen, zum einen mit Blick auf die Entwicklung eines neuen Lernangebotes, zum anderen mit Blick auf die Umstellung des Fortbildungsformates. Die Moderation übernahmen Till Hoffmann und Anne Timm:
- Anne Timm, NZFH, stellte auch Konzeption und Umsetzung der Lernplattform Frühe Hilfen vor, mit der das NZFH Kurse zum selbstständigen Lernen im individuellen Tempo anbietet.
- Andrea Michel, Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz, berichtete von den Erfahrungen, die bei der Umstellung von laufenden Weiterbildungskursen für Fachkräfte der Frühen Hilfen in ein virtuelles Format gemacht wurden.
Freiberufliche Hebammen in den Frühen Hilfen
Unabhängig von den Aspekten "Corona" und "Digitalisierung" beschäftigte sich eine weitere Veranstaltung unter Federführung des NZFH mit freiberuflichen Hebammen und ihrem Einsatz in den Frühen Hilfen. Christiane Trachternach moderierte den Austausch. Grundlage bildete ein Eckpunktepapier, das im Auftrag des NZFH erstellt wird:
- Prof. Dr. Martina Schlüter-Cruse, Hochschule für Gesundheit Bochum, stellte wesentliche Aspekte des Eckpunktepapiers vor, das zunächst das Präventions- und Kooperationsverständnis freiberuflich tätiger Hebammen beschreibt und ergänzend die Perspektive der Frühen Hilfen in den Blick nimmt.
- Prof. Dr. Friederike zu Sayn-Wittgenstein, Hochschule Osnabrück, führte in die Rolle und Bedeutung der Hochschulen für den Kompetenzerwerb von Hebammen ein, um in den Frühen Hilfen tätig sein zu können.
- Ulrike von Haldenwang, Deutscher Hebammenverband e. V., richtete den Blick auf die Praxis und stellte zwei gute Modelle aus der Praxis vor und Möglichkeiten zu Einbindung freiberuflicher Hebammen in Frühe Hilfen.
Fazit und Ausblick
Dank der einleitenden Fachbeiträge der Expertinnen und Experten sowie der regen Beteiligung der Kongress-Teilnehmenden konnten in den Veranstaltungen wesentliche Erkenntnisse zu den Leitfragen gesammelt werden.
So machten Impulsvorträge und Austausch in der Auftaktveranstaltung deutlich, dass die Perspektive von Kindern und Familien in der ersten Phase der Corona-Pandemie auf bundespolitischer Ebene nicht ausreichend berücksichtigt wurde. In den Kommunen und Netzwerken hingegen sind für die Frühen Hilfen und angrenzenden Bereiche seit Beginn der Corona-Pandemie viele Projekte erfolgversprechend initiiert und angepasst worden. Im Vordergrund stand insbesondere, Familien trotz Kontaktbeschränkungen mithilfe von digitalen Medien weiter beraten und begleiten zu können. Allerdings fehlen teilweise verlässliche Strukturen, um die Angebote auch nachhaltig sicher zu stellen.
Konkrete Unterstützung benötigen Netzwerke und Kommunen auch im Umgang mit digitalen Formaten. Insbesondere der Wunsch nach einheitlichen Plattformen und der Bedarf an Fortbildungen für Fachkräfte wurde deutlich.
Eine große Herausforderung bleibt es, Familien in besonders schwierigen Lebenslagen zu erreichen. Hier bedarf es auch weiterhin kreativer Ideen, um Kontakt aufzunehmen oder zu halten, Vertrauen zu gewinnen und Hilfen anbieten zu können – analog und digital.
Einigkeit bestand insbesondere in dem Punkt, dass digitale Angebote und Formate in allen thematisierten Bereichen der Frühen Hilfen auch unabhängig von Infektionsschutzmaßnahmen eine sinnvolle Ergänzung von Präsenzangeboten darstellen, diese aber nicht ersetzen können: In der Beratung und Begleitung der Familien, in der Qualifizierung von Fachkräften, zur Netzwerkkoordination und dem Austausch von Fachkräften sowie auch zur Einbindung freiberuflicher Hebammen in Frühe Hilfen und die Versorgung von Familien in ländlichen Regionen.
Zum Zeitpunkt des Kongresses im März 2021, etwa ein Jahr nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns, bestand allerdings seitens der Teilnehmenden ein großes Bedürfnis nach realen Kontakten und Präsenzveranstaltungen.
Besonders wichtig ist, bei der Auswahl der Formate unterschiedliche Gewohnheiten und Präferenzen der Zielgruppen im Blick zu haben. Je mehr Formate zum Einsatz kommen, desto besser können die unterschiedlichen Zielgruppen und Akteure nach den eigenen Bedürfnissen und Voraussetzungen auswählen und nutzen.
Das NZFH wird Impulse und Anregungen zu den unterschiedlichen Aspekten in seiner weiteren Arbeit berücksichtigen und auf Bundesebene, im Austausch mit Ländern und Kommunen und auch in der Weiterentwicklung der Qualifizierung für Fachkräfte der Frühen Hilfen einbringen.
Auch auf fruehehilfen.de greift das NZFH zentrale Erkenntnisse der Kongress-Veranstaltungen des Themenschwerpunktes Frühe Hilfen auf. So sollen zum Beispiel Informationen zum Thema Digitalisierung in den Frühen Hilfen inhaltlich ausgebaut und Antworten auf Fragen rund um Corona ergänzt werden.