Frühe Hilfen in Corona Zeiten – Erkenntnisse aus der Forschung
Ilona Renner, Referentin im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der BZgA, präsentierte Erkenntnisse aus Befragungen des NZFH sowie aus der COSMO-Studie zur Situation von Familien und Fachkräften in den Frühen Hilfen im Zusammenhang mit Corona-Beschränkungen.
Wie ging es Familien mit jungen Kindern im ersten "Lockdown" im Frühjahr 2020?
Auswertungen der COSMO-Studie machten deutlich, dass sich Familien mit jüngeren Kindern (unter 14 Jahren) stärker belastet fühlten als Familien mit älteren Kindern. Ähnliche Unterschiede zeigten sich auch für das Konfliktniveau: Sowohl kleinere als auch größere Meinungsverschiedenheiten wurden von Familien mit jüngeren Kindern deutlich häufiger genannt.
Wie ging es Familien in besonders belastenden Lebenslagen mit Kindern von 0 bis 3 Jahre?
Antworten lieferten zwei qualitative Befragungen des NZFH: eine Ad-Hoc-Befragung von Gesundheitsfachkräften der Frühen Hilfen während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 und eine retrospektive Befragung von Müttern im Rahmen der Erreichbarkeitsstudie im Herbst 2020.
Als drängendste Probleme und größte Sorgen der Familien wurden zwei Aspekte genannt:
- existentielle Ängste, finanzielle Sorgen, Verlust Arbeitsplatz sowie
- Überforderung mit der Situation, dass alle Kinder zu Hause sind – Stichwort "Lagerkoller"
Die Befragungen der Mütter in belastenden Lebenslagen wiesen zusätzlich auf den hohen Leidensdruck in Familien hin und auf die Gefahr von psychosozialen Belastungen und Symptomen – sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern.
Ilona Renner veranschaulichte die Ergebnisse durch Zitate aus den ausführlichen Befragungen der Mütter, zum Beispiel:
- Es ist mit der Arbeit sehr schwierig. Man hat darum Angst, auch den Job zu verlieren. Finanziell geht das ja auch alles in die Hose.
- Ich habe ja auch meinen Job durch Corona verloren, weil ja alle Kitas zu hatten. Ja. Deshalb ist es auch schwierig, einen Job zu finden
- Wir haben eine 3-Zimmer-Wohnung in einem Hochhaus […] Da fällt einem die Decke auf den Kopf. Klar, dass das nicht ganz gesund ist und auch für mich persönlich. Ich bin dann gestresst. Wenn sich die zwei dann natürlich auch noch anzicken…
Erkenntnisse zu der Frage, inwieweit sich aufgrund der Corona-Krise das Risiko für Gewalt verändert habe, lägen aus der Befragung der Gesundheitsfachkräfte vor. Danach sehen über 60 Prozent der Befragten ein erhöhtes Risiko für Gewalt in den von ihnen betreuten Familien, ein Drittel davon sehen auch erste Anzeichen von Gewalt.
Wie wurde die Unterstützung der Familien trotz Kontaktbeschränkungen fortgeführt?
Anstatt der sonst üblichen Hausbesuche verlagerte sich die Betreuungstätigkeit der Fachkräfte schnell auf telefonische und digitale Beratung, zum Beispiel per Video-Telefonie, oder auch auf schriftlichen Austausch. Hausbesuche seien weniger, nur in Ausnahmefällen und dann so kurz wie möglich durchgeführt worden.
Wie ging es Fachkräften mit den Corona-bedingten Veränderungen, insbesondere der Beratung auf Distanz?
Die Bewertung der Beratung auf Distanz durch die Fachkräfte fiel sehr zwiespältig aus: Einerseits sahen sie darin die Möglichkeit, überhaupt Kontakt zu halten, und versuchten dies auch bestmöglich. Andererseits bewerteten sie die Beratung ohne direkten persönlichen Face-to-Face-Kontakt für sich selbst als sehr belastend, wenig effektiv und nicht zufriedenstellend.
Diesen Zwiespalt zwischen positiver Bewertung – "angebracht, notwendig, sinnvoll" – und negativer Bewertung – "herausfordernd, erschwerend, belastend" – bestätigten auch die Antworten der befragten Mütter auf die Frage, wie sie die Corona-bedingten Veränderungen bewerten.
Die befragten Mütter äußerten sich aber auch dankbar, dass die Fachkräfte trotz der Kontakteinschränkungen für sie ansprechbar gewesen seien.