Identifikation von psychosozial belasteten Familien in der kinderärztlichen Praxis
Ergebnisse der P.A.T.H-Studie ("Pedriatic Attention To Help")
Dr. Christian Schlett, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum Freiburg, Sektion Versorgungs- und Rehabilitationsforschung (SEVERA), und PD. Dr. Manuela Glattacker, Leiterin der SEVERA-Projektgruppe, stellten Ergebnisse der P.A.T.H.-Evaluation vor, die in Kooperation mit dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt des Vortrags stand die Frage, ob die Identifikation psychosozial belasteter Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren in der kinderärztlichen Praxis durch die sogenannte P.A.T.H.-Intervention – eine Intervention zur sektorenübergreifenden Versorgung psychosozial belasteter Familien – verbessert werden kann, was eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Vermittlung dieser Familien in Angebote der Frühen Hilfen darstellt.
Was ist die P.A.T.H.-Intervention?
Kernstück der P.A.T.H.-Intervention sind die Interprofessionellen Qualitätszirkel, bei denen Fachkräfte des Gesundheitswesens und Mitarbeitende aus der Kinder- und Jugendhilfe systematisch zusammenarbeiten. Zudem werden die Kinderärztinnen und Kinderärzte gezielt in zwei Bereichen geschult: klinische Fallfindung belasteter Familien und motivierende Gesprächsführung. Ziel der Intervention ist es, die Überleitung psychosozial belasteter Familien von der niedergelassenen Pädiatrie in die Frühe Hilfen zu verbessern.
Was ist die P.A.T.H.-Studie?
Die P.A.T.H.-Studie hat die Wirksamkeit der P.A.T.H.-Intervention evaluiert. Das zentrale Anliegen der P.A.T.H.-Studie besteht darin, zu prüfen, ob ein größerer Anteil der psychosozial belasteten Familien, die von Pädiaterinnen und Pädiater behandelt werden, die an der P.A.T.H.-Intervention teilgenommen haben, Frühe Hilfen in Anspruch nehmen, als Familien von Pädiaterinnen und Pädiater, die nicht an der P.A.T.H.-Intervention teilgenommen haben. Außer dem übergeordneten Ziel, der Verbesserung der Überleitung psychosozial belasteter Familien in Angebote der Frühen Hilfen, was sich einer höheren Inanspruchnahme Früher Hilfen äußern sollte, sollte die P.A.T.H.-Intervention auch dazu führen, dass die teilnehmenden Kinderärztinnen und Kinderärzte einen größeren Anteil der psychosozial belasteten Familien identifizieren, über Angebote der Frühe Hilfen informieren und zur Inanspruchnahme der Frühen Hilfen motivieren.
Die Studie wurde von 2020 bis 2023 als Kooperationsprojekt des NZFH mit dem Universitätsklinikum Freiburg durchgeführt. Das NZFH hat die Konsortialführung und Gesamtprojektkoordination übernommen sowie einen Teil der qualitativen Evaluation. Das Universitätsklinikum Freiburg war mit mehreren Einrichtungen beteiligt, SEVERA war für die quantitative Evaluation mittels Fragebögen zuständig, das Institut für Medizinische Biometrie und Statistik für die gesundheitsökonomische Evaluation und das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin für einen weiteren Teil der qualitativen Evaluation.
Eine ausführliche Beschreibung des Studienprotokolls ist als Artikel veröffentlicht: Evaluation of a cross-sectoral care intervention for families with psychosocial burden: a study protocol of a controlled trial
Wie wurden die Belastungen von Familien erfasst? Welche Daten wurden erhoben?
Die Belastungen der Familien wurden mithilfe eines Online-Fragebogens erfasst. Als Instrument wurde der Psychosoziale Belastungsindex (PSB-Index) genutzt, der 23 Belastungsmerkmale abfragt. Zudem wurden die Kinderärztinnen und -ärzte gebeten, unmittelbar nach der U-Untersuchung anzugeben, ob sie die Familie als psychosozial belastet einschätzen (ja/nein). Familien, die auf Basis des PSB-Index mindestens einen Risikofaktor aufwiesen, wurden als (zumindest geringfügig) psychosozial belastet eingestuft. Wenn diese psychosozial belasteten Familien auch von den Kinderärztinnen und Kinderärzten als psychosozial belastet eingeschätzt wurden, zählten sie für die Studie als "identifiziert".
Im Verlauf der Evaluation wurden die Interventions- und eine Kontrollgruppe (Interventionsteilnehmende und -Nichtteilnehmende) hinsichtlich des Anteils identifizierter psychosozial belasteter Familien verglichen.
Welche Ergebnisse können festgehalten werden?
Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil identifizierter psychosozial belasteter Familien in der Interventionsgruppe höher war als in der Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe wurden 60 psychosozial belastete Familien identifiziert, was 42 Prozent der belasteten Familien in der Interventionsgruppe entspricht, wohingegen in der Kontrollgruppe nur 34 belastete Familien identifiziert wurden, was 23 Prozent der belasteten Familien der Kontrollgruppe entspricht. Die Verbesserung beträgt somit 19 Prozentpunkte. Bei einer inferenzstatistischen Prüfung dieses Unterschieds, welche die Zugehörigkeit der Familien zu Kinderärztinnen bzw. Kinderärzten berücksichtigte, zeigte sich sowohl in der Hauptanalyse, bei der Ausgangsunterschiede der beiden Gruppen in arzt- und familienseitigen soziodemografischen Merkmalen mittels Propensity-Score statistisch kontrolliert wurden, als auch in der Sensitivitätsanalyse ohne Propensity-Score Adjustierung, dass sich Interventions- und Kontrollgruppe in Bezug auf den Anteil identifizierter belasteter Familien erwartungskonform signifikant unterscheiden.
Aus ergänzenden explorativen Analysen ging zudem hervor, dass der Anteil identifizierter Familien mit zunehmender Anzahl an Risikofaktoren einer Familie leicht steigt, der Interventionseffekt (d.h. der Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe) fiel bei Familien mit ein bis vier Risikofaktoren aber ähnlich groß aus. Für Familien mit fünf oder mehr Risikofaktoren war der Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe geringer, allerdings wurde von diesen Familien einerseits schon in der Kontrollgruppe ein großer Anteil identifiziert, andererseits umfasste die Stichprobe nur wenige Familien, die so viele Risikofaktoren aufwiesen, weshalb die P.A.T.H.-Studie über so stark belastete Familien keine belastbare Aussage treffen kann.
Mit Blick auf die P.A.T.H.-Intervention und die Frage zu deren Auswirkung auf die Identifikation kann festgehalten werden, dass die Intervention dazu zu führen scheint, dass mehr psychosozial belastete Familien als psychosozial belastet identifiziert werden.