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Kleine Held*innen in Not 9

Die neunte Fachtagung "Kleine Held*innen in Not" am 6. und 7. November 2023 beschäftigte sich mit der Situation von Familien mit einem psychisch- oder suchterkrankten Elternteil und legte den Fokus auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppe "Kinder psychisch kranker Eltern" sowie deren Umsetzung.

Über 200 Fachkräfte aus unterschiedlichen Fach- und Arbeitsbereichen nahmen an der digitalen Veranstaltung teil. Die zweitägige Veranstaltung bot den Teilnehmenden fachliche Impulse sowie Raum für Austausch und Diskussion, auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik.

Die Kooperationstagung unter dem vollständigen Titel "Kleine Held*innen in Not 9 – Gesundheitsförderung und Prävention für Familien mit einem psychisch-/suchterkrankten Elternteil" wurde von mehreren Verbänden und Interessensvertretungen veranstaltet:

  • AFET – Bundesverband für Erziehungshilfe e. V.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft BAG "Kinder psychisch erkrankter Eltern"
  • Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V.
  • Der Paritätische Gesamtverband e. V.
  • NACOA Interessenvertretung für Familien aus Suchtfamilien e. V.

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat den interdisziplinären Fachaustausch aus Mitteln der Bundesstiftung Frühe Hilfen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert und war auch inhaltlich beteiligt.

Grundlage: Abschlussbericht der AG Kinder psychisch kranker Eltern

Die interdisziplinäre und interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat dem Deutschen Bundestag im Jahr 2019 ihren Abschlussbericht überreicht. Er enthält 19 Handlungsempfehlungen zu vier Kernthesen:

  1. Kernthese: Die Leistungen sind sowohl individuell als auch am Bedarf der Familie ausgerichtet, flächendeckend auf- und auszubauen und für die betroffenen Kinder über alle Altersgruppen hinweg und ihre Eltern zugänglich zu machen.
  2. Kernthese: Präventive Leistungen sollten für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen sowie für deren Familien zugänglich sein.
  3. Kernthese: Um komplexen Bedarfslagen eines oder mehrerer Familienmitglieder gerecht zu werden, müssen die bestehenden Hilfs- und Unterstützungsangebote besser ineinandergreifen.
  4. Kernthese: In den örtlichen und regionalen Netzwerken müssen Lotsinnen und Lotsen die Zugänge zu (weiteren) Hilfen und jeweils bedarfsgerechten Unterstützungsmaßnahmen an den Schnittstellen unterschiedlicher Leistungssysteme erleichtern.

Zentrale Fragen der Veranstaltung

  • Wie ist der Stand zu den Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern?
  • Welche Handlungsschritte stehen nun an?

Eröffnungsfilm und Vorträge

Den fachlichen Einstieg in die Veranstaltung haben Vertreterinnen und Vertreter der veranstaltenden Verbände und Organisationen übernommen. In einem Eröffnungsfilm und kurzen Einführungsvorträgen erläuterten sie ihre Sicht auf das Thema, auf die Umsetzung der Empfehlungen aus dem Abschlussbericht und auf notwendige Handlungsschritte:

  • Mechthild Paul, Leiterin der Abteilung Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung der Bundeszentrale für gesundheitlichen Aufklärung (BZgA)
  • Dr. Koralia Sekler, Geschäftsführerin von AFET e. V.
  • Dr. Benjamin Strahl, Referent von AFET e. V.
  • Professorin Dr. Silke Wiegand-Grefe, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Mitglied im Sprecher-Team der BAG "Kinder psychisch erkrankter Eltern"
  • Gabriele Sauermann, Referentin für Teilhabe behinderter Kinder und Jugendlicher im Paritätischen Gesamtverband
  • Irmela Boden, Vertreterin der Angehörigen im Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V.
  • Birgit Görres, Geschäftsführerin des Dachverbandes Gemeindepsychiatrie e. V.
  • Andreas Schrappe, Mitglied im Sprecher-Team der BAG "Kinder psychisch erkrankter Eltern"

Stand der Umsetzung – Fokus Aufbau und Förderung von Länderprojekten

Aus vier Bundesländern gewährten verantwortliche Akteure aus unterschiedlichen Projekten Einblicke in Strukturen, Inhalte und Finanzierungsmöglichkeiten.

  • Blick auf KipsFam, Mecklenburg-Vorpommern
    Dr. Kristin Pomowski, Koordinatorin der Landesfachfachstelle KipsFam, stellte die zentrale Anlaufstelle im Land Mecklenburg-Vorpommern für alle Fragen und Themen rund um Kinder psychisch und/oder suchtbelasteter Familien vor. Gefördert wird das landesweite Angebot vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport, kofinanziert von der Europäischen Union.
    Vortrag: Blick auf KipsFam Mecklenburg-Vorpommern
    Projekt-Website: Blick auf KipsFam MV
  • A: aufklaren, Hamburg
    Juliane Tausch, Paritätischer Landesverband Hamburg, berichtet über das dort angesiedelte Projekt A: aufklaren | Expertise & Netzwerk für Kinder psychisch erkrankter Eltern. Das Projekt wird von der Auridis Stiftung gGmbH gefördert, die Marc von Krosigk vorgestellt hat.
    Projekt-Website: A: aufklaren
  • Kommunale Gesamtkonzepte, Länderprojekte Rheinland-Pfalz
    Elisabeth Schmutz, wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Geschäftsführerin am ism Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V., stellte ausführlich das Modellprojekt unter dem vollständigen Titel "Kommunales Gesamtkonzepte zur Verbesserung der Unterstützungs- und Versorgungsstrukturen für Kinder psychisch und suchterkrankter Eltern (KpsE)" vor. Es wird vom ism in Kooperation mit dem Landesfamilienministerium (MFFKI) umgesetzt und von der Auridis Stiftung gGmbh gefördert.
    Der knapp 15-minütige Vortrag liegt als Aufnahme auf der Plattform Canva vor: Elisabeth Schmutz, Kommunale Gesamtkonzepte, Rheinland-Pfalz
    Projekt-Website: Kommunale Gesamtkonzepte KpsE
  • KIPS Prävention Nordrhein-Westfalen
    Michaela Gerritzen, Landesfachstelle Frauen und Familie Bella Donna, berichtete über Erfahrungen aus dem Landesprogramm "KIPS Prävention NRW: Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern stärken". Das Programm zur Umsetzung von nachhaltigen Angeboten zur Resilienz-Stärkung von Kindern psychisch kranker und suchtkranker Eltern wird vom GKV-Bündnis für Gesundheit und vom Land NRW gefördert.  
    Projekt-Website: KIPS Prävention NRW

Workshops mit Erfahrungsberichten und Beispielen aus der Praxis

In 21 Workshops widmeten sich die Teilnehmenden unterschiedlichen Aspekten zum Tagungsthema. Erkenntnisse aus der Forschung oder Erfahrungen aus der Praxis bildeten jeweils den fachlichen Einstieg.

Das NZFH leitet drei Workshops mit Impulsvorträgen ein.

  • Frühe Hilfen als Teil einer kommunalen Gesamtstrategie zur Versorgung Kinder psychisch- und suchterkrankter Eltern
    Till Hoffmann, NZFH in der BZgA, stellte Angebote des NZFH für Kommunen vor, um die Versorgung von Kindern psychisch- oder suchterkrankter Eltern zu verbessern, zum Beispiel die Praxismaterialien zur Qualitätsentwicklung auf der Website des NZFH sowie die Online-Plattform Kommune für Familien
    Vortrag: Frühe Hilfen als Teil einer kommunalen Gesamtstrategie (pdf/826 KB)
  • Kranke Eltern, kranke Kinder? Psychosoziale Belastungen in Familien mit kleinen Kindern
    Dr. Maria Hänelt, NZFH in der BZgA, fasste zentrale Ergebnisse der NZFH-Studie KiD 0-3 zum Tagungsthema zusammen. Diese bestätigen unter anderem, dass psychische Belastungen eines Elternteils mit gesundheitlichen Einschränkungen und Entwicklungsverzögerungen der Kinder einhergehen können.
    Vortrag: Kranke Eltern, kranke Kinder? (pdf/1,6 MB)
  • Was brauchen Fachkräfte vor Ort zur Unterstützung der Zielgruppe? Digitale Sprechstunden
    Till Hoffmann, NZFH in der BZgA, berichtete von den Digitalen Sprechstunden, mit denen das NZFH seit dem Jahr 2022 Fachkräfte in den Frühen Hilfen unterstützt. Zu verschiedenen Themen-Schwerpunkten beinhaltet das digitale und überregionale Angebot jeweils einführende Fachvorträge und bietet zudem die Möglichkeit zum Austausch.
    Vortrag: Digitale Sprechstunden (pdf/1,4 MB)

Von den meisten Workshops liegen die einführenden Vorträge auf dem Veranstaltungspadlet vor.

  • La Ola – das präventive Gruppenangebot für Kinder und Jugendliche von Wellengang
    Jonas Popp (Wellengang - Hamburg)
  • Niedrigschwellige und präventive Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe – Möglichkeiten und Grenzen
    Valérie Krone, Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), Fachberatung Familienunterstützende Leistungen, Münster
  • Resilienzförderung von Vorschulkindern in Kitas – Familie Löwenmut – ein multimodaler Ansatz
    Beate Pinkert, DVGP, Köln; Dagmar Wiegel, Stiftung Leuchtfeuer, Köln
  • Handlungsbedarfe im SGB V zur Ermöglichung lebensweltorientierter Komplexleistungen für Familien
    Birgit Görres und Tina Lindemann, DVGP, Köln
  • Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen – Wie kann der § 20 SGB VIII (neue Fassung) vor Ort umgesetzt werden?
    Andreas Schrappe, BAG Kinder psychisch erkrankter Eltern, Würzburg
  • Kidstime Workshops: Ein Praxisbeispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit mit vernetzenden Nebenwirkungen für Familien und Fachkräfte
    Klaus Henner Spierling, Diplom-Psychologe, Systemischer Therapeut und Supervisor, Lehrtherapeut für Multifamilientherapie, Rotenburg
  • Vorstellung einer regelfinanzierten Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Familien. Auryn in Leipzig
    Jan Roscher und Doreen Leib, Wege e.V., Leipzig
  • Komplexe Hilfen bei komplexen Problemen für betroffene Familien – die Möglichkeiten eines gemeindepsychiatrischen Trägers
    Daniel Skupin, ptv Sachsen, Dresden
  • Aufsuchende Hilfe aus einer Hand: Sozialpädagogische Familienhilfe und Ambulant Betreutes Wohnen
    Annike Lehmann, Evangelisches Beratungszentrum Würzburg
  • Was kann das Jugendamt für Familien mit psychisch und/oder suchterkrankten Eltern tun?
    Andrea Hecht, Stadtjugendamt der Landeshauptstadt München
  • Was brauchen Betroffene?
    Anna Widder und Laura Brüchle, Careleaver e. V.
  • Unterstützung beim Aufbau kommunaler Netzwerke – die Projekte S.U.K.A und KANON
    Birgit Görres und Lisa Burzywoda, DVGP, Köln
  • Zusammenbringen was zusammengehört, aber wie? Komplexverträge und Leistungsverhandlungen mit EGH und KJH verhandeln. Erste Schritte aus Potsdam
    Jannis Seidemann, NOW! Potsdam
  • Aufbau und Sicherung von komplexen Hilfen für belastete Eltern und ihre Kinder in einer ländlichen Kommune
    Sandra Karsten, Lebensfarben - Hilfen für Kinder und Jugendliche e.V., Wiehl
  • Orientierung und Beratung Online für Menschen in seelischen Belastungssituationen – OBEON, Projektvorstellung
    Antje Buchhorn, Tina Lindemann und Matthias Thölen, DVGP, Köln
  • Komplexe Lebenslagen bei Familien, Hilfe-Dschungel, intersektorale Zusammenarbeit – Warum auch Fachkräfte Lotsen und Fachberatung brauchen
    Juliane Tausch und Liv Traulsen, A: aufklaren, Der Paritätische Hamburg
  • Kinder suchterkrankter Eltern und digitale Möglichkeiten zur Orientierung im Hilfesystem
    Frauke Gebhardt, NACOA, Berlin
  • Fitkids – ein erfolgreiches Organisationsentwicklungsprogramm für die moderne Suchthilfe als Lotse ins Hilfenetzwerk für Kinder mit suchtkranken Eltern
    Jörg Kons, Familienorientiertes Suchthilfe-Zentrum Wesel / Fitkids Projekt Information und Hilfe in Drogenfragen e.V.

Handlungsbedarfe und Forderungen an die Politik

In mehreren Feedbackrunden tauschten sich die Teilnehmenden während der Fachtagung zu den Fragen aus:

  • Wo liegt der dringendste Handlungsbedarf in Ihrem Arbeitsfeld?
  • Was ist angelaufen, was bietet konkrete Perspektiven?
  • Was nehmen wir mit für die Politik?

Abschließend kamen zwei Vertreterinnen und ein Vertreter aus der Bundespolitik zu Wort. An dem von Dr. Koralia Sekler und Birgit Görres moderierten Austausch im Format eines Townhall-Meetings beteiligten sich:

  • Ulrike Bahr, SPD-Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Familienausschusses
  • Linda Heitmann, Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsabgeordnete, ordentliches Mitglied des Gesundheitsausschuss, stellv. Mitglied des Familienausschusses
  • Paul Lehrieder, CSU-Bundestagsabgeordneter, ordentliches Mitglied des Familienausschusses, des Haushaltsausschusses und der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder

Zur Sprache kamen unter anderem die folgenden Aspekte und Forderungen (siehe auch Notizen und Kommentare auf dem Veranstaltungspadlet)

  • Bedeutung rechtskreisübergreifender, verbindlicher Hilfen für Kinder und Jugendliche von psychisch und/oder suchterkrankten Eltern
  • Bedeutung (leistungs-)systemübergreifender Vernetzung, um bedarfsgerechte Versorgung und bedarfsorientierte Beratung mit ähnlichen Qualitätsstandards zu gewährleisten.  
  • Rechtskreisübergreifende Finanzierungskonzepte
  • Etablierung eines systematischen Monitorings
  • Umsetzung einer Kampagne gegen Stigmatisierung
  • (bessere) Schulung von Kita- und Lehrfachkräften hinsichtlich der Themen Sucht und psychischer Erkrankungen
  • Berücksichtigung von Maßnahmen der Verhältnisprävention, zum Beispiel mit Blick auf Werbung für alkoholische Getränke bzw. Werbeverbote
  • Einsatz von Verfahrenslosten auch für Familien mit suchterkranktem Elternteil (nicht nur in Familien mit einem Kind, bei dem eine Behinderung vorliegt)
  • Flächendeckende Umsetzung von Soziotherapie und damit verbunden die rechtliche Grundlage dafür, dass Unterstützungsleistungen auch für Personen verordnet werden, die nicht selbst Patient sind (zum Beispiel: Verordnung für einen Elternteil durch die Kinder- und Jugendärztin)
  • Notwendigkeit von interdisziplinären Arbeitsgruppen, um Versäulung zu durchbrechen
  • Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes "gesund groß werden", in dem alle Aktivitäten zum Ziel haben müssen, einen guten Übergang von der Geburt bis zum Erwachsenenalter hin herzustellen.
  • Erkenntnisse aus den Frühen Hilfen berücksichtigen, zum Beispiel Kinderärztinnen und -ärzte als Teil einer Gesamtstrategie mitdenken

Fazit

Die Beiträge im Laufe der Fachtagung zeigten, dass die im Abschlussbericht formulierten Kernthesen und Empfehlungen derzeit unterschiedlich gut umgesetzt sind. Wichtig ist daher, so das Fazit, die Umsetzung weiter zu verfolgen, angelaufene Prozesse weiter zu verstetigen und insbesondere ausreichend Ressourcen bereitzustellen.

Publikationen

Weitere Informationen auf fruehehilfen.de

Informationen zur Veranstaltung

Kleine Held*innen in Not – Veranstaltungspadlet
Online-Plattform zur 9. Fachtagung Kleine Held*innen in Not 2023 mit Vorträgen, Links, Kommentaren und Notizen zu Diskussionen und Feedbackrunden und weiteren Informationen