Verzahnung des ÖGD mit den Angeboten der Frühen Hilfen
Einleitend stellte Mechthild Paul, Leiterin des NZFH, zentrale Aspekte der Frühen Hilfen vor. Der systemübergreifende Ansatz nutze Angebote und Zugänge unterschiedlicher Partner, insbesondere aus dem Gesundheitssystem und der Kinder- und Jugendhilfe, um Familien zu unterstützen.
Warum ist der ÖGD ein wichtiger kommunaler Partner für die Frühen Hilfen?
Grundlegend sei, so Mechthild Paul, dass der ÖGD eine staatliche Institution beziehungsweise ein staatliches Angebotssystem sei: neutral und für jeden zugänglich. Zudem sei der ÖGD kommunal und in der Lebenswelt der Familien verankert. Er beinhalte den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst und arbeite sozialkompensatorisch. Wichtig sei zudem, dass der ÖGD steuernde und koordinierende Funktionen in der Kommune übernehme, zum Beispiel für die Gesundheitsplanung zuständig sei. Dass der ÖGD mit kommunalen Anbietern vernetzt sei, zum Beispiel Gesundheitskonferenzen oder Runden Tische, sei ein weiteres, aus Sicht der Frühen Hilfen, relevantes Merkmal.
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen FH und ÖGD?
"Die Zusammenarbeit mit dem ÖGD ist noch ausbaufähig." Damit leitete Mechthild Paul ihre folgenden Ausführungen ein, die vor allem auf Ergebnissen der Kommunalbefragungen des NZFH zur Zusammenarbeit der Frühen Hilfen und dem ÖGD basierten. Seit 2013 sind alle Kommunen, die öffentliche Träger der Jugendhilfe sind und von der Bundesinitiative Frühe Hilfen beziehungsweise seit von der Bundesstiftung Frühe Hilfen gefördert wurden, mehrfach und umfassend zum Aus- und Aufbau der Frühen Hilfen befragt worden.
- Träger der Koordinierungsstellen der Netzwerke Frühe Hilfen: Laut der Befragung im Jahr 2017 waren die Koordinierungsstellen der Netzwerke Frühe Hilfen nahezu in allen befragten Kommunen beim Jugendamt angesiedelt (94,6 Prozent). Nur 4,3 Prozent der Kommunen gaben an, dass das Gesundheitsamt Träger der Koordinierungsstelle des Netzwerks Frühe Hilfen sei.
- Koordinierungsstellen für Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen: Die Koordinierung der Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen, insbesondere Familienhebammen und FGKiKP, habe im Jahr 2017 in etwa zwei Drittel der Kommunen das Jugendamt übernommen, gefolgt von 17,5 Prozent bei freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Das Gesundheitsamt sei in rund 10 Prozent der Kommunen Träger der Koordinierungsstelle für die Gesundheitsfachkräfte in den Frühe Hilfen gewesen.
- Einbindung von Gesundheitsamt/ÖGD in Netzwerke Frühe Hilfen: Ein Blick auf spezifische Angebote und deren Einbindung in Netzwerke Frühe Hilfen zeige in den Jahren 2013 bis 2020, dass die Einbindung des Gesundheitsamtes in allen Erhebungen zwischen 83 und 87 Prozent lag, die Kooperationsqualität wurde durchgängig mit rund 2,2 (nach Schulnoten 1-5) angegeben. Ein deutlicher Anstieg habe sich bei der Einbindung des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Netzwerke Frühe Hilfen gezeigt: von knapp 37 Prozent in 2013 auf 57,3 Prozent im Jahr 2020. Die Kooperationsqualität ist dabei von 2,6 auf 2,3 gestiegen.
- Konzeptionelle Ziele im Bereich der Frühen Hilfen: Ein Blick auf die konzeptionellen Ziele der Kommunen im Bereich der Frühen Hilfen zeige Entwicklungsbedarfe. Nur rund die Hälfte der Kommunen habe in den Jahren 2017 und 2020 angegeben, dass die Verbesserung der Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Gesundheitsplanung als Ziel der Frühen Hilfen verfolgt werde. Weniger als 5 Prozent gaben an, das Ziel bereits erreicht zu haben. Ähnlich wenig Kommunen bezeichneten das Ziel einer verbesserten Einbeziehung des Gesundheitswesens in die Frühen Hilfen als erreicht. Etwas mehr als 80 Prozent verfolgten laut Kommunalbefragungen 2017 und 2020 dieses Ziel.
- Positive Beispiele für die Zusammenarbeit: Ein hervorragendes Beispiel liefere das Saarland, so Mechthild Paul, und verwies auf den folgenden Vortrag von Dr. Gesine Thünenkötter und Eveline Zobel. Landesweit seien alle kommunalen Koordinierungsstellen Frühe Hilfen als Tandem aus Jugendamt und Gesundheitsamt organisiert.
Welche Schwierigkeiten gibt es in der Zusammenarbeit der Frühen Hilfen mit dem ÖGD?
Größter Stolperstein sei der Abbau des staatlichen Gesundheitswesens in der Vergangenheit gewesen. Dies führte zum Beispiel dazu, dass Aufgaben im Rahmen von kommunalen Gesamtkonzepten vom ÖGD nicht übernommen werden konnten. Zudem sei nicht jede Kommune Träger eines Gesundheitsamtes. Die Corona-Pandemie habe zur (weiteren) Überlastung geführt, womit die Aufgaben des ÖGD auf den Infektionsschutz hätten beschränkt werden müssen.
Was kann der ÖGD-Pakt bewirken?
Zur Frage, ob der ÖGD-Pakt eine Wende bringe, kündigte Mechthild Paul Empfehlungen des Beirats der Bundesstiftung Frühe Hilfen und des NZFH an. Der Beirat rege darin zum Beispiel an, den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst mit Personal und sächlicher Ausstattung für die Frühen Hilfen aus Mitteln des Pakts ÖGD zu erweitern. Zudem sollte eine gemeinsame Steuerung des ÖGD und der Netzwerke Frühe Hilfen erreicht werden, um damit die systemübergreifende Kooperation zu stärken, wie es im Saarland umgesetzt werde.
Die Empfehlungen sind zwischenzeitlich als Zwischenruf des Beirats zur Umsetzung des Paktes für den ÖGD veröffentlicht.
Was kann der ÖGD von den Frühen Hilfen lernen?
Um den ÖGD weiterzuentwickeln, lohne ein Blick auf die Entwicklung der Frühen Hilfen in den letzten 15 Jahren. Mechthild Paul fasste dazu Meilensteine und Erfolgsfaktoren beim bundesweiten Ausbau der Frühen Hilfen zusammen:
- Koordinierungs- und Steuerungsstrukturen auf allen föderalen Ebenen mit Ressourcenausstattung
- Netzwerke auf allen föderalen Ebenen
- Gesetzliche Verankerung im Bundeskinderschutzgesetz (2012)
- Finanzierung des Grundstocks durch den Bund
- Wissenschaftliche Begleitung nach einem Monitoring- und Wirkungskonzept
- Beteiligung an der Qualitätsentwicklung auf allen föderalen Ebenen
Wichtige Erkenntnis – und eine parallele Entwicklung des ÖGD wie bei den Frühen Hilfen – sei, dass Krisen häufig Motor für Veränderungen seien. Andererseits werde aber auch deutlich, dass gerade in Krisen tragfähige Strukturen vorhanden sein müssten, damit sie zeitnah gut zu bewältigen seien.
Die zentralen Aspekte der Frühen Hilfen seien auch Kern eines modernen Public Health-Ansatz: Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, Partizipation, Salutogene, Ressourcenorientierung, Empowerment, Vernetzung und Evidence-based Practice. Das Ziel müsse daher sein, die Effekte der Frühen Hilfen durch eine Einbettung in eine kommunale Gesamtstrategie zu verstetigen.
Wie für die Frühen Hilfen sei auch für die Weiterentwicklung des ÖGD wichtig, immer von den Familien aus zu denken, so Mechthild Paul, und fasste alle Bemühungen zusammen: "Ziel waren immer die Familien!"