Psychosoziale Belastungslagen in der frühen Kindheit: Welche Unterstützung brauchen Familien mit sozioökonomischer Belastung und elterlichem Stress?
Das Fachforum ging der Frage nach passender Unterstützung für Familien in unterschiedlichen Lebenslagen nach: für Eltern in sozioökonomischen Belastungslagen und Familien, die unter vermehrtem elternbezogenem Stress leiden. Drei Expertinnen aus dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) im Deutschen Jugendinstitut (DJI) stellten dazu unter anderem Studien-Ergebnisse des NZFH vor: Susanne Ulrich, Désirée Liese und Dr. Ulrike Lux.
Zur zentralen Frage, welche Problemlagen von Familien es gibt und welche Unterstützungsangebote die Familien nutzen, standen drei Aspekte im Fokus der vorgestellten Studien:
- Unterschiede in sozioökonomischen sowie elternstress- und konfliktbelasteten Familien
- Gesundheitsgefährdende Wirkungen von elterlichem Stress für die Familie
- Alleinerziehende Mütter, die sowohl unter sozioökonomischer Belastung als auch unter elterlichem Stress leiden.
Diskussion und Ausblick
Grundsätzlich bestätigen viele Teilnehmende die vorgestellten Studienergebnisse zur Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten. Ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis der Frühen Hilfen brachten sie in die anschließende Diskussion ein. Die Diskussion orientierte sich an den Fragen:
- Erhalten Familien mit erhöhtem elterlichen Stress und Konfliktpotential zu wenig Unterstützung? Soll man sich mehr bemühen, sie zur Teilnahme an selektiven Angeboten zu gewinnen? Oder sind sie durch die Nutzung universeller medizinischer und Familienbildungsangebote bzw. anderweitig ausreichend versorgt, da es scheinbar nicht an zu geringer Angebotskenntnis mangelt?
- Sollen Alleinerziehende und Stieffamilien zur Teilnahme an universellen (Gruppen-) Angeboten stärker gewonnen werden? Wenn ja, wie müssen solche Angebote gestaltet werden und wie kann eine gezielte Ansprache gelingen?
Folgende Aspekte standen im Fokus:
Frühe Hilfen für Familien mit elterlichem Stress und Konfliktpotential – Symbolische Barrieren
Die Erkenntnisse aus Theorie und Praxis deuten darauf hin, dass ein Grund für die seltenere Teilnahme an Unterstützungsangeboten von Eltern der eigene Anspruch sein könnte, alles selbst schaffen zu wollen und keine Hilfe zu benötigen. Diese "Symbolischen Barrieren" sind unter anderem aus der Erreichbarkeitsstudie des NZFH bekannt.
Ziel aller Bemühungen sollte daher sein, Erschöpfungszuständen vorzubeugen und für Stress in der Elternrolle und damit verbundene Anforderungen zu sensibilisieren, der alle Eltern, unabhängig vom sozioökonomischen Status betreffen kann. Speziell für Eltern, die starke Belastungen in der Elternrolle und erhöhte familiäre Konflikte erleben, könnten Modelle helfen, die für regelmäßige und verlässliche Entlastungen sorgen, zum Beispiel durch freiwillig Engagierte und Familienpatenschaften.
Frühe Hilfen für Alleinerziehende
Einigkeit bestand darin, dass es auch in der Gruppe der Alleinerziehenden große Unterschiede gibt. Auch die örtlichen Gegebenheiten und das Umfeld sorgen für unterschiedliche Bedürfnisse. In städtischen Regionen mit einer größeren "Alleinerziehenden-Dichte" kann man beispielsweise spezifische Gruppen für Alleinerziehende anbieten. In Regionen, in denen weniger Alleinerziehende leben, ist dies hingegen schwieriger. Hier könnten durch die Corona-Pandemie ohnehin häufiger stattfindende digitale Angebote örtliche Barrieren abbauen. Es kann jedoch ebenso sinnvoll sein, auch in (universellen) Gruppenangeboten mit unterschiedlichen Teilnehmenden auf typische Probleme und Bedarfe von Alleinerziehenden einzugehen.
Angebote für Alleinerziehende sollten sich aber nicht nur inhaltlich an den Bedarfen orientieren, sondern auch zeitliche Ressourcen berücksichtigen. Eine Möglichkeit könnte sein, speziell für Alleinerziehende Angebote am Wochenende anzubieten. Aufgrund des fehlenden Partners hätten sie häufig gerade am Wochenende Zeit und ein "Vakuum", das man nutzen könnte.
Besondere Bedarfe in ländlichen Regionen
Besondere Herausforderungen ergeben sich in ländlichen Regionen – insbesondere durch die Bevölkerungsstruktur, die schlechtere Infrastruktur und Erreichbarkeit der Familien sowie die Gefahr der Stigmatisierung, zum Beispiel von Alleinerziehenden. Hier können eventuell digitale Ansätze oder mobile, aufsuchende Hilfen Versorgungslücken schließen.
Bedeutung für den Ausbau der Frühen Hilfen
Abschließend kann festgehalten werden, dass sowohl die Bedürfnisse von Familien sehr unterschiedlich sind als auch ihre Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten. Dies erfordert ein möglichst breites Angebotsspektrum von Hilfen, angepasst an die regionalen Besonderheiten. Dies können sowohl spezifische universellen Angebote sein, zum Beispiel Gruppenangebote für Alleinerziehende oder für junge Mütter, aber auch verstärkt aufsuchende oder individuelle Beratung sowie flexible, digitale Informations- und Beratungsangebote.
Wichtig ist grundsätzlich der weitere Ausbau der Netzwerke Frühe Hilfen, zum Beispiel durch eine zuverlässige und intensive Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten oder mit Familien- und Stadtteilzentren.
Ausblick: Forschung im NZFH und DJI
Das NZFH führt derzeit erneut eine bundesweite Repräsentativbefragung unter dem Titel KiD 0-3 2022 durch. Mit den erhobenen Daten könnten Ergebnisse aus 2015 validiert und die Lage nach Corona erfasst werden.
Eine Tagebuchstudie zum Alltag in Trennungsfamilien, die an der LMU im Rahmen der Entwicklung von Online-Orientierungshilfen für Elternpaare in der Krise und getrennte Eltern (Projekt „STARK“) durchgeführt wird, soll Erkenntnisse liefern, welche spezifischen Belastungen sie haben und welche Angebote ihnen helfen könnten.