Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten bei Familien in unterschiedlichen Belastungslagen
Einleitend stellte Susanne Ulrich, wissenschaftliche Referentin in der Fachgruppe Frühe Hilfen im Deutschen Jugendinstitut (DJI), Hintergrund und Methodik des NZFH-Studienprogramms "Kinder in Deutschland KiD 0-3" vor. In der im Jahr 2015 durchgeführten Repräsentativbefragung, betitelt als Nationale Hauptstudie, wurden 8063 Familien mit einem Kind zwischen 0 und 3 Jahren im Rahmen einer kinderärztlichen U-Untersuchung befragt. In der Studie wurden Merkmale zur allgemeinen Lebenssituation der Familie erhoben, zu Merkmalen der Eltern, zum Beispiel elterlicher Stress, und Merkmalen des Kindes, zum Beispiel Frühgeburt oder Regulationsstörungen, sowie zur Kenntnis und Nutzung von Unterstützungsangeboten.
Wie viele Familien mit Säuglingen und Kleinkindern sind psychosozial (hoch) belastet?
Auf Grundlage von 25 erhobenen Merkmalen seien die Familien in vier unterschiedliche Klassen und Belastungsgruppen eingeteilt worden:
- Knapp 59 Prozent der Familien seien eher unbelastet (Klasse 1, mit durchschnittlich weniger als einem Belastungsmerkmal)
- Mittlere Belastung zeige sich bei insgesamt 36 Prozent der Familien, wobei zwei Gruppen unterschieden worden seien: 18,8 Prozent eher sozioökomisch belastete Familien (Klasse 2) und 17,2 Prozent Familien mit erhöhtem elterlichen Stress und Konfliktpotential (Klasse 3, beide Gruppen mit durchschnittlich drei bis vier Belastungsmerkmalen)
- Gut 5 Prozent der Familien seien mehrfach belastet (Klasse 4, mit durchschnittlich 8 bis 9 Belastungsmerkmalen).
Welche Belastungsmerkmale nennen Eltern in den unterschiedlichen Lebenslagen?
Bei der Gruppe "eher unbelasteter Familien" seien nur wenige Belastungsmerkmale etwas häufiger: dazu gehören elterlicher Stress, ungeplante Schwangerschaft und Frühgeburt/niedriges Geburtsgewicht.
Im Vergleich dazu seien bei "mehrfach belasteten Familien" zum einen wesentlich mehr Merkmale genannt worden (zum Beispiel: Bezug von Sozialleistungen, Alleinerziehend, Partnerschaftskonflikte/-gewalt, innerer Ärger oder negative kindliche Emotionalität). Zum anderen seien die meisten Merkmale in der Gruppe prozentual wesentlich häufiger aufgetreten als in allen anderen Gruppen.
Bei dem Vergleich der beiden mittleren Belastungsgruppen zeigten sich unterschiedliche Belastungsmerkmale der Familien: "Sozioökonomisch belastete Familien" seien häufig durch Bezug von Sozialleistungen, geringe Bildung, jüngeres Alter der Mutter sowie ungeplante Schwangerschaft geprägt. Familien mit erhöhtem elterlichem Stress und Konfliktpotential seien dagegen durch elternbezogene Belastungen wie z.B. mangelndes Einfühlungsvermögen, und innerer Ärger die am häufigsten genannten Merkmale gewesen, gefolgt von Paarkonflikten/-gewalt und einer negativen Zuschreibung des Kindes
Wie viele Familien kennen und nutzen universelle beziehungsweise selektive Unterstützungsangebote?
Von den befragten Familien habe die große Mehrheit universelle Angebote wie Geburtsvorbereitungskurse, Hebammenhilfe und medizinische Kurse, zum Beispiel Rückbildungskurse gekannt. Zudem würden universelle Angebote auch häufig genutzt.
Selektive Angebote – darunter zusammengefasst wurden Beratung in einer Familien- oder Erziehungsberatungsstelle, spezielle Beratung, zum Beispiel in einer Schreiambulanz, sowie spezielle Gruppenangebote, zum Beispiel für Alleinerziehende – würden auch relativ häufig gekannt, aber wesentlich weniger in Anspruch genommen.
Welche Familien nehmen universelle beziehungsweise selektive Unterstützungsangebote in Anspruch?
Die Studie habe gezeigt, dass universelle Angebote häufiger von unbelasteten Familien und von Familien mit erhöhtem elterlichem Stress und Konfliktpotential genutzt würden, weniger von sozioökonomisch belasteten und mehrfach belasteten Familien.
Bei der Inanspruchnahme selektiver Angebote habe sich das umgekehrte Bild gezeigt: Sie würden deutlich häufiger von sozioökonomisch belasteten Familien genutzt sowie von mehrfach belasteten Familien.
Festzuhalten sei daher, dass Familien mit mittleren Belastungen je nach Art der Belastung – sozioökonomische Belastungen beziehungsweise mit Belastungen durch erhöhten elterlichen Stress – ein unterschiedliches Nutzungsverhalten aufwiesen.
Wie verhalten sich Familien mit mittleren Belastungen, d.h. Familien mit sozioökonomischen Belastungen und Familien mit erhöhtem elterlichem Stress und Konfliktpotential?
Die Ergebnisse zur Kenntnis und Nutzung der universellen und selektiven Angebote zeigten, dass sich Familien mit erhöhtem Elternstress und Konfliktpotential eher verhielten wie unbelastete Familien und häufiger universelle Angebote in Anspruch nähmen.
Hingegen würden Familien mit sozioökonomischen Belastungen sich eher wie mehrfach belastete Familien verhalten und häufiger selektive Angebote in Anspruch nehmen.
Auffällig sei, dass Familien mit erhöhtem Elternstress und Konfliktpotential selektive Angebote seltener in Anspruch genommen hätten als Familien mit anderen oder mehreren Belastungen, trotz höherer Kenntnis der Angebote.
Welche Familien kennen und nutzen die längerfristige aufsuchende Betreuung und Begleitung (LaB) durch Gesundheitsfachkräfte der Frühen Hilfen?
Die Studie KiD 0-3 habe ergeben, dass die aufsuchende Beratung und Begleitung der Frühen Hilfen häufiger von sozioökonomisch belasteten und mehrfach belasteten Familien in Anspruch genommen worden seien – also vergleichbar mit der Nutzung selektiver Angebote.
Die anderen beiden Gruppen hätten das aufsuchende Angebote nicht nur seltener genutzt, sondern auch seltener erhalten.
Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den Daten?
Abschließend fasste die Referentin zusammen: Man habe vier unterschiedliche Belastungsgruppen identifiziert. Die beiden mittleren Gruppen seien zwar vom Ausmaß der Belastungen ähnlich, unterschieden sich aber deutlich hinsichtlich der Art der Belastungen sowie der Nutzung von Unterstützungsangeboten.
Für die Frühen Hilfen sei es ein großer Erfolg, dass sozioökonomisch belastete Familien gut durch selektive, insbesondere aufsuchende Angebote erreicht werden können. Auffällig sei die seltenere Nutzung selektiver Angebote von Familien mit erhöhtem elterlichem Stress und Konfliktpotential. Daraus hätten sich weitere Fragen ergeben, zum Beispiel, ob erhöhter elterlicher Stress und Konfliktpotential seltener erkannt würden, ob ihr potenzieller Hilfebedarf anderweitig gedeckt werde und falls nicht, was Eltern mit Stress und Konfliktpotential an Unterstützungsangeboten bräuchten.