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Wie geht's den Kindern?

In der Auftaktveranstaltung des NZFH zum Themenschwerpunkt Frühe Hilfen blickten drei Expertinnen auf die Situation von Kindern und Familien durch Corona. Basierend auf den Erkenntnissen und Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis diskutierten die Teilnehmenden zentrale Handlungsbedarfe in den Frühen Hilfen sowie gesamtgesellschaftliche Herausforderungen.

Mit einem Rückblick auf den Kongress Armut und Gesundheit im Jahr 2021 eröffnete Mechthild Paul, Leiterin des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH), die Einstiegsveranstaltung zum Themenbereich Frühe Hilfen. Die Diskussionen im Vorjahr hätten gezeigt, dass Versorgung und Unterstützung von Kindern und Familien insbesondere dort gut (weiter)gelaufen seien, wo bereits Strukturen vorhanden gewesen seien. Außerdem sei man sich damals einig gewesen, dass die Politik zu lange gewartet habe, Kinder in den Blick zu nehmen, und dass der "Health in All Policies"-Ansatz mit Blick auf Frühe Hilfen nicht umgesetzt worden sei.

Im zweiten Pandemie-Jahr sei insbesondere die ungleiche Verteilung von Ressourcen bei Familien deutlich geworden, die sich stark auf die Gesundheit und die Bildung der Kinder auswirke. Aktuell komme durch den Krieg in der Ukraine eine neue Herausforderung auf Akteure der Frühen Hilfen zu, da insbesondere Mütter mit Kindern in Deutschland Schutz suchten und Unterstützung benötigten.

Aktivitäten des Bundes

Politisch sei zwischenzeitlich aber auch einiges passiert. So sei beispielsweise unter dem Vorsitz der Bundesministerien für Gesundheit (BMG) und Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) "Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona" gebildet worden. Der Ende 2021 von der IMA veröffentlichte Bericht nenne drei Handlungsfelder mit 26 Empfehlungen. Das dritte Handlungsfeld "Zielgerichtete und bedarfsorientierte Hilfe" formuliere zwei zentrale Empfehlungen: 1. Besonders belastete Kinder und Jugendliche frühzeitig identifizieren und 2. Unterstützung der besonders belasteten Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien bei der Bewältigung der gesundheitlichen Folgen der Pandemie. Es greife auch explizit die Netzwerkstrukturen der Frühen Hilfen als Anknüpfungspunkte für Unterstützungsmaßnahmen auf.

Zum Teil konnte das Aktionsprogramm "Aufholen nach Corona" (Aufholpaket) der Bundesregierung in den Frühen Hilfen von den Ländern und Kommunen gut für Innovationen und zum weiteren Ausbau der Digitalisierung genutzt werden.

Aktivitäten des NZFH

Das NZFH habe mit den im Aufholpaket zusätzlich bereitgestellten Geldern insbesondere sein Angebot für Fachkräfte und Eltern ausgebaut: Digitale Sprechstunden für Fachkräfte, die Familien mit psychischen Belastungen beraten, Digitale Netzwerkrunden mit Koordinierenden zu ausgewählten Themen, Aufbau eines Instagram-Kanals, um Eltern direkt anzusprechen. Auch eine umfassende Studie sei auf den Weg gebracht worden sowie eine Zukunftswerkstatt mit Ländern und Kommunen zu den Fragen: Was lernen wir aus Krisen? Wie müssen wir die Frühen Hilfen noch besser aufstellen?

Zudem sei in Ländern, Kommunen und Netzwerken viel umgesetzt worden. Um Familien dauerhaft zu unterstützen, so Mechthild Paul am Ende ihrer Einführungen, reiche allerdings ein befristetes Aktionsprogramm nicht aus. Hier müssten die Ressourcen auf allen Ebenen weiter erhöht werden.

Fachvorträge

Drei Fachvorträge widmeten sich Erkenntnissen zu Belastungslagen und Hilfebedarfen von Familien. Ilona Renner stellte die aktuelle NZFH-Studie KiD 0-3 vor, die repräsentative Daten von Familien mit Kindern erhebt. Prof. Dr. Ute Thyen, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, blickte stellvertretend für Akteure aus dem Gesundheitswesen auf die Situation von Kindern und Familien, Elisabeth Schmutz, ism Mainz, aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe.

Diskussion und Ausblick

Die anschließende Diskussion orientierte sich an den Leitfragen: Was bedeuten die Erkenntnisse für die Frühen Hilfen? Was muss kurz- mittel- und langfristig passieren? Welche Handlungsbedarfe sind dringend?

Zentrale Erkenntnis nach den Impulsvorträgen war, dass auch im zweiten Jahr der Corona-Pandemie die Perspektive von Kindern und Familien nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Die Teilnehmenden tauschten sich zu weiteren Aspekten aus, brachten Erfahrungen aus der Praxis, insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe, mit ein und formulierten Empfehlungen und Forderungen: 

Corona-Maßnahmen in Kitas stoppen

Kurzfristig sollten die umfassenden und anhaltenden Maßnahmen zum Infektionsschutz insbesondere in Kitas gestoppt werden. Zum Beispiel müssten Eingewöhnungsphasen mit Kleinkindern wieder uneingeschränkt in Anwesenheit der Eltern stattfinden und das vorhandene entwicklungspsychologische und pädagogische Wissen berücksichtigen.

Wissen und Erkenntnisse erklären

Im Sinne einer Anwaltschaft für Kinder unter 3 Jahren sollten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis vermittelt werden, was Kinder in dem Alter für eine gute Entwicklung und Stärkung brauchen: In Fortbildungen für Fachkräfte, auf politischer Ebene und gesamtgesellschaftlich.

Entlastungskonzepte für Familien umsetzen

Um Kindern in Krisenzeiten Sicherheit und Stabilität zu geben, müssen ihre Familien Sicherheit und Stabilität erhalten: Finanziell, aber auch sozial. Dazu zählen auch Entlastungen im Alltag, um Eltern Freiräume zu schaffen und Überforderung zu vermeiden. Ergänzend zu aufsuchender, fachlicher Unterstützung wie in den Frühen Hilfen, sollten dabei auch haushaltsnahe Entlastungen durch ehrenamtlich und freiwillig Tätige mitgedacht werden. 

Kooperationen nutzen und ausbauen

Ärztinnen und Ärzte waren auch während der Pandemie Ansprechpartner für Eltern und stellen einen wichtigen Zugang zu Familien dar. Zusätzlich sollten insbesondere Kitas und Familienzentren als Zugangswege genutzt werden, um Familien alltagsnah zu erreichen.

Perspektive der Kinder berücksichtigen

Bei allen Entscheidungen und in allen Handlungsbereichen muss die Perspektive der Kinder berücksichtigt werden. Auch in der Forschung könnte die Sicht von kleinen Kindern, zum Beispiel durch Beobachtungsstudien in Zusammenarbeit mit Kitas, direkt in Erhebungen einfließen.

Public Health stärken

Grundsätzlich waren sich die Teilnehmenden einig, dass "Public Health" die öffentliche Sorge, das Kümmern um die Gesundheit aller Menschen ist. Dazu zählen auch Babys und kleine Kinder.

Abschließend rief Mechthild Paul alle Teilnehmenden dazu auf, die Erkenntnisse "von allen Seiten an die Politik zu bringen und auf jetzt aktuell notwendige Entscheidungen aufmerksam" zu machen. Nur so könnte Kindern und ihren Familien, insbesondere in schwierigen Lebenslagen, geholfen werden – in den aktuellen und in zukünftigen Krisen. Eine wesentliche Botschaft sei dabei, vorhandene Strukturen verlässlich zu unterstützen und weiter auszubauen, damit auch "Angebote für Familien verlässlich zur Verfügung stehen und Versprechen eingehalten werden".

Publikationen

Weitere Informationen auf fruehehilfen.de