Damit Armut nicht krank macht – über starke Familien zu gesunden Kindern
Dokumentation der Kooperationstagung am 18. Oktober 2018 in Berlin
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH), die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Gesundheit & Frühe Hilfen und elf weitere Institutionen und Verbände haben zu einer Kooperationstagung am 18. Oktober 2018 nach Berlin eingeladen. Rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten sich über die Folgen von Armut auf die Gesundheit und Entwicklung von Kindern, über deren Bedeutung für die Frühen Hilfen und über Handlungsmöglichkeiten aus.
Foto-Impressionen der Tagung
Begrüßung
Die Tagung eröffneten Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), und Dr. Sönke Siefert von der BAG Gesundheit & Frühe Hilfen.
Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) äußerte sich in dem anschließenden Gespräch mit Dr. Sönke Siefert zu den Handlungsfeldern des BMFSFJ im Hinblick auf Familien in prekären Lebenslagen und hob die Bedeutung der Frühen Hilfen als einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit von Kindern hervor.
In Vertretung für Lutz Stroppe, Staatssekretär des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) betonte Susanne Wald, Abteilungsleiterin der Abteilung 3 Gesundheitsschutz, Medizin- und Berufsrecht, in ihrem Grußwort, dass die Frühen Hilfen genau der richtige Ansatz seien, um Familien in Armutslagen wirkungsvoll zu unterstützen.
Impulsvorträge und anschließende Diskussion
In drei Impulsvorträgen beleuchteten Expertinnen und Experten die Folgen von Armut auf die Gesundheit und Entwicklung von Kindern und gingen den Fragen nach, welche Bedarfe Familien in Armut haben und wie wirkungsvolle Ansätze gestaltet sein müssen.
Im Anschluss an die Impulsvorträge hatte das Publikum die Gelegenheit, Fragen zu stellen oder die Ausführungen zu kommentieren. Fünf Themenbereiche standen im Vordergrund.
Im Hinblick auf Gesundheitserziehung betonte ein Tagungsteilnehmer die Notwendigkeit einer Einbindung von KiTa und Schule, um institutionell (z.B. mit speziellen Unterrichtsfächern) Kinder- und Jugendliche anzusprechen. Frau Prof. Dr. Walper wies hier insbesondere im KiTa-Bereich auf existierende Programme und Initiativen hin, die den "guten Schulterschluss zwischen Institution und Eltern nutzen". Mattias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg berichtete von seinen Erfahrungen mit Schulbehörden und ergänzte, dass für Schulen zentrale Lösungen schwer umzusetzen seien und große individuelle Unterschiede bei dem Umgang mit der Thematik an Schulen bestünden. Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erwähnte in diesem Zusammenhang den Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz, in dem das Gelingen von Gesundheitskompetenz in Institutionen auf allen Ebenen diskutiert werde.
Auf den Mangel an Angeboten nach dem ersten Lebensjahr wies ein Kinderarzt in seiner Wortmeldung hin. Während im ersten Lebensjahr Projekte wie z.B. die Familienhebammen die Familien unterstützten, fehlten Modelle und Projekte für Kinder bis 3 bzw. 6 Jahre. Zustimmend wies Frau Prof. Dr. Walper gerade in diesem Kontext auf die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Bildungsträgern hin, da Bildungsinstitutionen als Verweissystem Eltern beraten und an hilfreiche Angebote weiterleiten könnten.
Sehr unterschiedliche Resonanzen formulierten die Tagungsteilnehmenden zu ihren Erfahrungen zur Zusammenarbeit mit Krankenkassen. Während mehrere Rückmeldungen zu positiv gelingender Kooperation mit Krankenkassen geäußert wurden, berichtete eine Koordinatorin der Frühen Hilfen von sehr schwer gelingender Einbindung der Krankenkassen in die Projektentwicklung und -umsetzung. Dem entgegnete Herr Mohrmann als Vertreter einer gesetzlichen Krankenkasse selbstkritisch, dass Krankenkassen das Thema häufig zu wenig im Fokus hätten. Dennoch stünden Krankenkassen für ein solidarisch geprägtes System und es müsse zu ihren Aufgaben gehören, "sich gerade auch um Personenkreise zu kümmern, für die man deutlich etwas verbessern kann".
Eine Tagungsteilnehmerin betonte die Bedeutung einer Vernetzung der Krankenkasse mit regionalen Angeboten und bestehenden Projekten bei der Umsetzung von Präventionsangeboten.
Im Hinblick auf die vorgestellten Ergebnisse der KiGGS-Studie formulierte eine Tagungsteilnehmerin und Vertreterin des öffentlichen Gesundheitsdienstes ihre Forderung, Ansätze der Verhältnisprävention auch im Hinblick auf Adipositas und Ernährung anzuwenden und entsprechend gegen Zucker in Nahrungsmitteln vorzugehen.
Ein Kinder- und Jugendarzt forderte ein Zusammenarbeiten aller Bereiche, die "irgendwo mit Kindeswohlentwicklung zu tun haben", da den in den Impulsvorträgen beschriebenen Problemlagen nur in Kooperation gemeinsam begegnet werden könne. Auch der Vertreter eines Landesjugendamtes hob den Stellenwert der Netzwerkarbeit hervor und betonte hier die Bedeutung der Gesundheitsämter und Jugendämter, die für die Frühen Hilfen und eine Vernetzung die Verantwortung hätten. Er wünschte sich von den anderen Akteuren Unterstützung durch offensive Ansprache und ein Ernstnehmen in ihrer Planungs- und Steuerungsverantwortung.
Auf die Frage nach der Kausalrichtung von Kinderarmut und Gesundheit, die ein Netzwerkkoordinator Frühe Hilfen formulierte, beschrieb PD Dr. Thomas Lampert in seiner Antwort den komplexen Zusammenhang: Während sich einerseits Armut auf Gesundheit auswirke, könne eine Gesundheitseinschränkung auch ein Armutsrisiko darstellen: zum Beispiel könne die Erkrankung des Kindes zu hohen Belastungen in der Familie führen oder bereits vorhandene Belastungen aufgrund mangelnder Ressourcen und Bewältigungskompetenzen verstärken.
Podiumsdiskussion und thematische Workshops
Die anschließende Podiumsdiskussion beschäftigte sich vor allem mit Herausforderungen bei der Umsetzung in der Praxis.
In der zweiten Tagungshälfte hatten die über 180 Teilnehmenden in Workshops Gelegenheit, sich über einführende Impulse der Referentinnen und Referenten auszutauschen, diese zu diskutieren und ihre eigenen Erfahrungen einzubringen.
Ausblick und Abschluss
Mechthild Paul, Leiterin des NZFH, und Dr. Sönke Seifert, BAG Gesundheit & Frühe Hilfen, kündigten an, die Themen weiter zu transportieren und die Erkenntnisse (siehe Einzelpräsentationen der Thematischen Workshops) für die Identifikation von Bedarfen und die Entwicklung von Projektideen oder Fortbildungen zu nutzen.