Konferenzreihe zur Netzwerkarbeit und Netzwerkkoordination: Qualitätsentwicklung der Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen
Dokumentation der Tagung am 13. November 2017 in Wiesbaden
Freiwillig Engagierte leisten einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung von Familien. Qualitätsgesicherte und effektive Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen benötigt professionelle Begleitung ebenso wie starke regionale Netzwerke. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) am 13. November 2017 in Wiesbaden eine Fachtagung zum Thema "Qualitätsentwicklung der Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen". Impulsvorträge und interaktive Methoden boten den Teilnehmenden Raum für die gemeinsame Reflexion von Potenzialen und Herausforderungen der Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen.
So tauschten sie sich in drei lebhaften Fishbowl-Diskussionen zu verschiedenartigen Aspekten des freiwilligen Engagements in den Frühen Hilfen aus. Die Themenschwerpunkte der Fishbowls knüpften jeweils an unterschiedliche Aspekte aus den Konferenzvorträgen an. Einleitende Expertenimpulse aus der Praxis unterstützten den Einstieg in die Diskussionen. Ausgewählte Ergebnisse der Fishbowls wurden anschließend gemeinsam mit einer Poster-Präsentation gelungener Praxisbeispiele im Plenum vorgestellt.
Mit der Veranstaltung setzte das NZFH seine 2015 erfolgreich begonnene Konferenzreihe „Netzwerkarbeit und Netzwerkkoordination. Netze weben – Brücken bauen" fort.
Impressionen der Tagung
Begrüßung und Auftakt
Aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen
Mechthild Paul, Leiterin Nationales Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Als „wichtigen Meilenstein und einen Riesenerfolg" bezeichnete Mechthild Paul, Leiterin des NZFH, die Gründung der Bundesstiftung Frühe Hilfen, mit der die erfolgreiche Arbeit der Bundesinitiative Frühe Hilfen seit dem 1. Oktober 2017 fortgeführt werden könne. Für die Frühen Hilfen stünden nun dauerhaft und regelfinanziert 51 Millionen Euro jährlich zur Verfügung.
Eine gute Nachricht auch für die Freiwilligenarbeit: Freiwilligenprojekte zur langfristigen Unterstützung von Familien seien künftig ebenso förderfähig wie andere Maßnahmen in den Frühen Hilfen. Schließlich, so Paul, kämen aufsuchende Angebote wie Patenschaften bei den Familien besonders gut an.
Sie machte zugleich deutlich, dass Freiwillige keine Fachkräfte ersetzen könnten: „Ganz wichtig ist, dass die Grenzen zur professionellen Arbeit klar gezogen werden. Ehrenamtsprojekte sind kein Sparmodell. Ehrenamtsprojekte brauchen Ressourcen, vor allem auch für die notwendige Qualitätssicherung.“ Dementsprechend sei die Qualitätssicherung an der Schnittstelle zur professionellen Arbeit als eine von drei Mindestanforderungen in der aufsuchenden Freiwilligenarbeit in den Leistungsleitlinien der Bundestiftung Frühe Hilfen festgelegt worden.
Im zweiten Teil ihres Vortrags ging Mechthild Paul auf ausgewählte Befunde der Forschung ein. Laut der Kommunalbefragungen des NZFH verfügten inzwischen drei von vier Kommunen in Deutschland im Bereich der psychosozialen Versorgung von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern über Angebote mit Ehrenamtlichen (75,1 Prozent). Am häufigsten verbreitet seien Besuchsdienste wie zum Beispiel Familienpatenmodelle (in 61,6 Prozent der Kommunen). Mit Bezug auf die repräsentative Studie im Bereich der Prävalenz- und Versorgungsforschung des NZFH "Kinder in Deutschland - KiD 0-3" wies Paul darauf hin, dass ehrenamtliche Besuche in der Familie vermehrt von Eltern mit eher niedrigem Bildungshintergrund in Anspruch genommen würden: „Die Akzeptanz aufsuchender Angebote ist also bei jenen Familien höher, die wir mit den Frühen Hilfen primär erreichen wollen.“
Abschließend kündigte Mechthild Paul ein Projekt an, mit dem das NZFH einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität in den Frühen Hilfen leisten möchte. Kommunen sind im Rahmen des Projekts „Qualitätsentwicklung in der Praxis unterstützen – Kommunale Qualitätsdialoge Frühe Hilfen“ eingeladen, in Zusammenarbeit mit dem NZFH die Umsetzung des Qualitätsrahmens Frühe Hilfen zu erproben.
Frühe Hilfen aus zivilgesellschaftlicher Perspektive
Prof. Dr. Heiner Keupp, Ludwig-Maximilians-Universität München
Aus der zivilgesellschaftlichen Perspektive blickte Prof. Dr. Heiner Keupp, Ludwig-Maximilians-Universität München, auf Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen.
Das Gemeinwesen lebe wesentlich davon, dass Bürgerinnen und Bürger sich beteiligten. So sei die Zivilgesellschaft „eine dritte Kraft zwischen Markt und Staat“ und bürgerschaftliches Engagement zugleich eine unverzichtbare Ressource für soziale Innovation – auch im Bereich von Familie und Sozialisationsaufgaben.
Kritisch sei es, wenn Zivilgesellschaft als Ressource instrumentalisiert werde: Freiwilligenarbeit sei keine „Sparbüchse“.
Darüber hinaus seien erhebliche ungenutzte Potentiale für ehrenamtliche Betätigung zu beobachten: „Es gibt genügend Menschen, die sich beteiligen würden, wenn sie auf die richtige Weise angesprochen und eine Chance bekommen würden, sich zu beteiligen. Es macht also Sinn, für mehr bürgerschaftliches Engagement zu werben“, folgerte Prof. Dr. Heiner Keupp. Eine zentrale Frage sei dabei: „Schaffen wir hinreichend Möglichkeiten für dieses Engagement?“
In seinem Vortrag ging Prof. Dr. Heiner Keupp auch auf die Frage ein, inwieweit Freiwilligenarbeit in den Frühen Hilfen ein Risiko darstelle oder vielmehr Chancen berge. Selbstverständlich dürften Freiwillige keine professionellen Aufgaben übernehmen oder auch Aufgaben, mit denen sie überfordert wären und Schaden verursachen könnten. Bürgerschaftliches Engagement sei kein „Notstromaggregat zur Kompensation professioneller Hilfen“, so der Sozialpsychologe. Doch gebe es viel mehr Argumente für Freiwilligenarbeit als dagegen. „Freiwillige haben den Vorteil, dass sie häufig aus der gleichen Lebenswelt wie jene Menschen kommen, die sie unterstützen wollen.“ Freiwillige könnten zwar professionelle Aufgaben nicht ersetzen, jedoch zusätzliche Impulse und Innovationen ermöglichen. Unstrittig sei, dass bürgerschaftliches Engagement neben finanzieller Förderung eine gute soziale Infrastruktur brauche. Wichtig sei außerdem die Bereitschaft der Hauptamtlichen, Konflikte auszutragen und „Eigensinn“ zu akzeptieren, so Prof. Dr. Heiner Keupp: „Wir Hauptamtliche sollten Menschen, die sich engagieren wollen, den Rahmen dafür geben und sie im Sinn von Empowerment unterstützen. Wir dürfen Ihnen allerdings nicht vorgeben, wohin ihre Reise gehen soll.“
Impulsvorträge und ihre Diskussion in Fishbowls mit Praxisimpuls
Themeninseln und Eindrücke der Tagung
Vortrag und Ausblick
Freiwilliges Engagement in den Frühen Hilfen: Tragfähige Infrastrukturen, Vernetzung und Unterstützungsbedarfe
Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
Der Politikwissenschaftler Dr. Ansgar Klein vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement gab zum Abschluss der Konferenz einen Überblick über die vielfältigen Aspekte von Engagementpolitik und damit verbundene Anforderungen. Eine zivilgesellschaftliche Strukturpolitik müsse die gemeinsamen Anliegen der unterschiedlichen Bereiche berücksichtigen, in denen Bürgerinnen und Bürger sich freiwillig engagieren. Engagementförderung sei ein Querschnittsthema, das sich beispielsweise auf Infrastruktur, Vernetzung und kommunale Bildungslandschaft beziehe. „Deshalb brauchen die Kommunen eine Querschnittskoordination für Freiwilliges Engagement. Dabei, dürfen die Frühen Hilfen nicht übersehen werden“, so Dr. Ansgar Klein. Vor diesem Hintergrund empfahl er, Netzwerke nicht als Parallelwelten zu betrachten, sondern sie mit bestehenden Strukturen zivilgesellschaftlichen Engagements weiterzuentwickeln.
Freiwilliges Engagement dürfe aber nicht als Sparmodell genutzt werden, mahnte Dr. Ansgar Klein in seinem Vortrag weiter: „Zu denken, freiwilliges Engagement sei wie Erwerbsarbeit, nur billiger, ist ein großes Missverständnis.“ Vieles deute darauf hin, dass Freiwillige vermehrt „zum Lückenbüßer in Zeiten leerer Kassen“ reduziert würden. Darum gelte es, Engagement als „Zeitspende“ freiwilliger Art und als Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens anzuerkennen. Entscheidend sei dabei, Freiwilligen die Möglichkeit zu geben, sich als selbstwirksam zu erfahren: „Wenn ich merke, dass mein Engagement einen Unterschied macht und ich wirklich etwas verändern kann, dann bin ich stolz, selbstbewusst und erfreut.“ Dies sei eine wesentliche Form von Anerkennung.
Engagement zu fördern, setze vielfältige Kompetenzen voraus. Neben den fachlichen Dimensionen und einem Verständnis für Partizipation seien ein Zugang zu Verwaltung und Wirtschaft ebenso bedeutsam wie die Fähigkeit zur Vernetzung und digitale Kompetenz. Dr. Ansgar Klein forderte daher ein integriertes Curriculum für Hauptamtliche in diesen Strukturen: „Das fällt nicht vom Himmel. Deshalb müssen wir auch die Fachhochschulen und Hochschulen in die Lage versetzen, die Menschen so auszubilden, wie die Infrastrukturen sie brauchen.“
Im letzten Teil seines Vortrags formulierte Dr. Ansgar Klein einige Empfehlungen für die Engagementpolitik. Ein zentrales Fazit von ihm lautete hier: „Wer Freiwilligenmanagement betreibt, muss davon auch wirklich etwas verstehen. Auf Augenhöhe zusammenarbeiten, ist leicht gesagt, aber nicht so leicht gemacht.“
Verabschiedung
Wie lebendig die Konferenz verlief, zeigte auch eine grafische Darstellung des Konferenzverlaufs. NZFH-Leiterin Mechthild Paul bezog sich in Ihrer Verabschiedung auf das Bild von einer Ehrenamtskoordinatorin, die die Konferenzmalerin als Krake dargestellt hatte. Wie bei den Armen einer Krake hätten auch Koordinierende in den Frühen Hilfen vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben: „Deshalb müssen wir gut aufeinander aufpassen und schauen, dass wir die Fachkräfte nicht überfordern. Wir dürfen ihnen nicht immer noch mehr aufbürden“, erklärte Mechthild Paul. Umso wichtiger sei es, gute Strukturen für Ehrenamtliches Engagement zu schaffen und Lobbyarbeit zu betreiben. Hier werde das NZFH künftig unterstützen.
Abschließend betonte Mechthild Paul, dass Freiwillige angemessen begleitet und unterstützt werden müssten, damit sie ihre Aufgaben gut machen können: „Sie machen es freiwillig und mit Eigeninteressen – und das ist auch gut so.“