Auf die Reise nach Digitalien ‒ Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis
Impulsvortrag von Angelika Gundermann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e. V.
"Wir sind schon auf der Reise!", begann Angelika Gundermann ihren Vortrag, da es bedingt durch die Covid-19-Pandemie, zu einer spontanen Digitalisierung im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung gekommen sei. Leitende und Lehrende hätten sich schnell auf die veränderten Bedingungen im Lehr-Lern-Prozess einstellen und ihre Einstellung gegenüber der Digitalisierung neu entwickeln und anpassen müssen. Die Ergebnisse aus der Forschung begleiteten hierbei die Praxis. Sie bezog sich in ihren Ausführungen insbesondere auf Ergebnisse aus dem umfassenden Forschungsprojekt "Digitalisierung im Bildungsbereich" im Rahmenprogramm Empirische Bildungsforschung (Digi-EBF).
Forschung zu Lehrenden
Angelika Gundermann verwies darauf, dass die Erwachsenen- und Weiterbildung, mit Blick auf die Menge der (potenziellen) Adressatinnen und Adressaten sowie der Zahl der Veranstaltungen und der Anbieter, der größte Bildungsbereich in Deutschland sei. Er zeichne sich durch eine vielfältige Anbieterstruktur aus.
Kompetenzen von Erwachsenen- und Weiterbildenden
Im Hinblick auf die Kompetenzen von Erwachsenen- und Weiterbildenden stellte sie unter Heranziehung verschiedener Kompetenzmodelle heraus, dass es mit Ausnahme der Volkshochschulen (VHS) hierzu kaum empirische Daten gebe, die sich zudem auf einen Zeitraum bis zum Jahr 2018 beziehen. Es werde jedoch davon ausgegangen, dass es wie eingangs erwähnt in den letzten Jahren zu einer spontanen Entwicklung diesbezüglich gekommen sei.
Festzustellen sei, dass allgemeine Defizite im Bereich der digitalen Medien bestünden und das jüngere Lehrende kompetenter im didaktischen Einsatz digitaler Medien seien. Die Vielfalt der eingesetzten Medien in Kursen sei eher klein und konservativ und beschränke sich oft auf das Zeigen von Filmen und Präsentationen. Die Lernangebote würden zwar zunehmend optimiert, doch es werde deutlich, dass die Bereiche Didaktik, Methodik, Kommunikation und Beratung sowie Organisation spezifische Kompetenzen auch im Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien erforderten. Ihr Fazit zu den notwendigen Kompetenzen "Es geht nicht nur darum, ein Tool zu kennen, sondern die Umsetzung ist wichtig."
Haltung und Rolle der Lehrenden
In der sich daran anschließenden Betrachtung der Haltung und Rolle der Lehrenden bei der Verwendung digitaler Medien, zeigte sich, dass diese auschlaggebend für den Einsatz in Lehr-Lern-Situationen seien und man daher die "Lehrenden bei der Digitalisierung mitnehmen (müsse)". Auch ein Rollenwandel vom Wissensvermittler zum Lernbegleitenden sei festzustellen: "Es gibt nicht mehr den Kapitän, der die Richtung vorgibt." Die Furcht vor diesem Wandel der Lehrpraxis gepaart mit einem Mangel an Motivation und Offenheit seien kritische Erfolgsfaktoren für Online-Angebote. Hierbei gelte es zu beachten, dass es nicht nur negative, sondern auch sinnvolle Kritik am Einsatz von Neuen Medien gebe. Zu dem Aspekt "Haltung" stellte sie abschießend fest, dass Lehrende eine zentrale Rolle bei der Digitalisierung hätten. Sie wies darauf hin, dass vielen motivierten Lehrenden kaum Weiterbildungen in diesem Bereich zur Verfügung stünden.
Aus- und Weiterbildung
Hierbei sei es grundlegend, dass durch die zuvor beschriebene veränderte Situation zuerst die Bedarfe konkretisiert werden müssten. Es gäbe viele Einzelkämpfer, die sich zum Beispiel über YouTube-Videos informierten, und auch generell eine große Fortbildungsbereitschaft. Da die Einbindung in den Arbeitsalltag und die Finanzierbarkeit häufig ein Problem darstellten, sollten Angebote flexibel und praxisnah konzipiert werden. Der wichtigste Faktor für den Erfolg einer Erwachsenenbildung oder -weiterbildung seien jedoch die Lehrenden selbst: "Lehrende müssen diese auch wollen!"
Forschung zu Organisationen
Grundlage der Ausführungen hierzu waren neue Erkenntnisse aus einem zweiten Forschungsstrang der Jahre 2016 bis 2020. Sie griff einige Aspekte heraus:
Kompetenzen der Leitenden
Die Leitenden müssten Kompetenzen aus dem Management-Bereich einsetzen, zum Beispiel in der Rekrutierung und Qualifizierung des Personals, im Aufbau der notwendigen Infrastruktur und – auch mit Blick auf die Kosten – Führen und Organisieren in den diversen Einrichtungen. Des Weiteren würde die Entwicklung einer Digitalstrategie für Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung als grundlegend erachtet. Dabei sei das kompetente Leitungshandeln und vor allem eine gute Kommunikation zwischen Träger, Leitenden und Lehrenden relevant für die erfolgreiche Umsetzung digitaler Prozesse.
Nutzung digitaler Daten und Technologien
Zur Nutzung digitaler Daten und Technologien konstatierte die Referierende, dass fast alle Anbieter über eine Website und virtuelle Lernumgebungen verfügten. Die dabei entstehenden Informationen würden allerdings, wie auch der Bereich Social Media, kaum genutzt, obwohl diese Daten und Technologien neue Wege zur Gewinnung neuer Teilnehmenden oder Angebotspräsentation eröffnen würden.
Fazit
Abschließend fasste sie die Implikationen der Digitalisierung auf Organisationen mit den folgenden Ergebnissen zusammen:
Kompetentes Leitungshandeln und gute Kommunikation sei eine der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung digitaler Strategien, durch die sich Chancen für neue Angebote mit neuen Partnern böten. Hierfür brauche es aber vor allem Visionen, wie trotz der auf Freiberuflichkeit aufbauenden Strukturen der Erwachsenenbildung und -weiterbildung die digitale Transformation umgesetzt werden könnte. Zentrales Anliegen müsse hierbei eine umfassende, alle Organisationsebenen betreffende Konzeption und Strategie sein. Wichtige Fragestellungen seien: "Wohin will ich?" und "Welche Veranstaltungen können digital, welche in Präsenz stattfinden?" Hierzu gebe es eine große Forschungslücke!
Ihren Vortrag beendete Angelika Gundermann mit der Feststellung, dass keine der vorgestellten Studien vorausgesehen hätte, welchen Anschub die aktuelle weltweite Pandemie der Digitalisierung auch in der Erwachsenenbildung geben würde.
"Vielleicht erhalten einige der Prognosen dadurch Rückenwind und Entwicklungen treffen schneller ein, als von den Forschenden angenommen. Wirklich absehbar ist bisher nur, dass die Pandemie sowohl Forschung als auch Praxis noch eine Weile in Atem halten wird."
Im Anschluss an ihren Vortrag erhielten die Teilnehmenden Gelegenheit, ihre Eindrücke, Fragen und Meinungen zum Thema zu äußern. Diskussionsschwerpunkte waren:
- Grundlegende Visionen im Bereich Weiterbildung/digitale Qualifizierung
- Fehlende Passgenauigkeit der Angebote
- Schlechte technische Bedingungen in Kursen der Erwachsenenbildung und -weiterbildung
- Fehlende Zertifizierungen über das digitale Know-how der Lehrenden
- Keine generelle Reduktion von Präsenz-Veranstaltungen aufgrund der finanziellen und organisatorischen Vorteile von digitalen Angeboten, vor allem bei emotionalen Themen wie zum Beispiel Kinder psychisch erkrankter Eltern